Ratingkodex. Am Freitag hat der Verband Geschlossene Fonds ein Papier mit dem Titel „Grundsätze zur ordnungsgemäßen Bewertung von geschlossenen Fonds und deren Anbieter“ veröffentlicht. Ausgangsüberlegung für die Verabschiedung des so genannten Ratingkodex sei, so der Verband, dass es bislang – im Gegensatz zu Bafin-geregelten Finanzinstrumenten – keinen Verhaltenskodex gäbe, wie geschlossene Fonds zu bewerten seien.

Maßstäbe setzen. Der VGF legt den „Maßstab der Objektivität“ an und verpflichtet Analysehäuser, die sich mit geschlossenen Fonds beschäftigen, auf die hehren Prinzipien Neutralität, Unabhängigkeit, Unbestechlichkeit und fachliche Sorgfalt. So weit, so gut, so begrüßenswert. Auch die nonchalante Erweiterung des Anwendungsbereichs des Kodex auf Journalisten ist, was diese Prinzipien betrifft, kein Problem. Jawohl, das ist unser täglich Brot, genau an diesen Maßstäben möchten wir gemessen werden.

Unvereinbarkeiten. Aber dann fangen die Probleme an. Denn mit der Formulierung, dass die Grundsätze auch für „analysierende Journalisten“ gelte und im Kodex „der Einfachheit halber generell von Analysten gesprochen“ wird, gibt sich eine nicht unerhebliche Fehleinschätzung vorgeblicher Gemeinsamkeiten von Ratinganalysten und Journalisten zu erkennen. Journalisten leben davon, dass sie Informationen empfangen, verarbeiten und wieder zirkulieren lassen. Sie prüfen, validieren und hinterfragen ihre Quellen nicht nur, sondern sie hegen und pflegen sie auch. Wer als Journalist seinen Umgang mit Informationsquellen nicht nachhaltig auf eine solide Vertrauensbasis stellt, ist schnell weg vom Fenster. Journalisten verfügen über ein facettenreiches Instrumentarium für den vertrauensvollen und souveränen Umgang mit Informationen unterschiedlichster Qualität – von hochbrisanten Interna bis zu gezielt in die Welt gesetzten Falschmeldungen. Die Anweisung im Ratingkodex, „nur ausdrücklich vom Emittenten freigegebene Informationen dürfen veröffentlicht werden“, klingt in unseren Ohren nach einer Empfehlung frei nach Schiller: „Die Axt im Haus erspart die Pinzette.“

Apellationsrecht. „Dem Emittenten bzw. Anbieter ist ein Appellationsrecht rechtzeitig vor Veröffentlichung des Ergebnisses einzuräumen, damit dieser auf eventuelle Fehleinschätzungen bzw. Unzulänglichkeiten frühzeitig hinweisen kann“, heißt es im Ratingkodex. Hier zeigt sich die wahrscheinlich größte Diskrepanz zwischen dem Ratinganalysten und ernsthaftem journalistischem Arbeiten. Verständlicherweise handelt es sich bei jeder Kritik aus der subjektiven Sicht des Kritisierten um eine Fehleinschätzung oder Unzulänglichkeit. Das darf aber unter gar keinen Umständen dazu führen, dass Journalisten, auch und gerade wenn sie Anbieter oder deren Produkte kritisieren, Ihre Textentwürfe zum Abnicken vorlegen müssen oder andernfalls mit dem Vorwurf konfrontiert werden können, sie hätten mit dem Kodex gebrochen, der schließlich laut Präambel – und dort übrigens ohne jede Relativierung – seine Verbindlichkeit für Journalisten reklamiert. Diese Haltung, so verständlich sie sein mag, verkennt bis in die Tiefe hinein die Funktion der Presse in demokratischen Gesellschaften und im staatlich nicht geregelten Kapitalmarkt ganz besonders.

Sofern, soweit. Das entscheidende „sofern“ dieser Debatte steht im Wertpapierhandelsgesetz, Paragraf 34b. Unter der Überschrift „Analyse von Finanzinstrumenten“ werden Finanzanalysten auf die erforderliche Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit verpflichtet, die Erfordernisse bei der Weiterreichung und -verarbeitung erstellter Analysen geregelt und Maßgaben zum Umgang mit möglichen Interessenkonflikten erlassen. In einem der fünf Absätze steht, dass diese Bestimmungen nicht für Journalisten gelten – Achtung – „sofern diese einer mit den Regelungen der Absätze 1, 2 und 5 sowie des § 34c [der die Anzeigepflicht gegenüber der Bafin regelt] vergleichbaren Selbstregulierung einschließlich wirksamer Kontrollmechanismen unterliegen.“ In der juristischen Kommentierung zu diesem Paragraf läuft diese sofern-Regelung als „Journalistenprivileg“ aufgrund ungeklärter Vergleichbarkeit mit den Selbstregulierungsmechanismus der Presse, wie sie durch den Pressekodex und die Sanktionsinstrumente des Presserechts und des Presserats gegeben sind. Kommentare, unter anderem von Kämmerer/Veil oder von v. Rosen/Gerke, identifizierten angesichts des Missbrauchs der Pressewirkung einiger „Börsengurus“ am Neuen Markt eine Regelungslücke. Nicht zuletzt daraufhin wurde der Pressekodex überarbeitet, in seiner Gültigkeit als vergleichbares Instrument der Selbstkontrolle bestätigt und in der Folge die Zuständigkeit der Bafin für Journalisten negiert – auch wenn sie bewertend über Finanzprodukte schreiben.
Das entscheidende „soweit“ dieser Debatte steht im Rating-Kodex des VGF. „Die Grundsätze gelten entsprechend für analysierende Journalisten, soweit sie auch auf journalistische Tätigkeiten Anwendung finden können.“ Wenn damit gemeint sein sollte, dass Journalisten unabhängig und sorgfältig arbeiten sollen, hätte es des Einbezugs der Journalisten in den Kodex nicht bedurft. Wenn damit allerdings gemeint ist, dass Journalisten, die analytisch in ihrer Arbeit vorgehen und sich zu einem Werturteil aufschwingen, sich dem Katalog der Vorschriften eines Kodex für Ratinganalysten zu unterwerfen haben, mithin unter die Aufsichtshoheit der Bafin fallen, dann müssen – nicht nur bei den betroffenen Journalisten – alle Alarmglocken angehen.

fondstelegramm-Meinung. Man stelle sich das mal in der Praxis vor. Jeder Text, der analytisch vorgeht und auf kritische Punkte in einer Fondskonzeption aufmerksam macht, der aber nicht zur Freigabe dem betroffenen Emissionshaus vorgelegt wurde, konfrontiert seinen Autor mit dem Vorwurf, mit dem Branchenkodex gebrochen zu haben. Ein Diskreditierungsinstrument erster Güte, das seine Wirkung auch vor Gericht nicht verfehlen dürfte. Lieber VGF, wenn es das nicht ist, was Ihr mit dem Ratingkodex erzielen wolltet, dann nehmt die Mühe einer Überarbeitung auf Euch! Wir stehen mit viel Leidenschaft für die Sache hilfsbereit zur Seite.

Der Ratingkodex steht in seiner ersten Fassung im Verdacht, auf dem Rücken unklarer Formulierungen ein Instrument zu etablieren, mit dem Emissionshäuser sich kritischer Berichterstattung entledigen können.