Um trotz der Niedrigzinsen ausreichende Erträge zu erwirtschaften, gehen viele deutsche Stiftungen bereits stärker ins Risiko, zeigt die aktuelle Studie von PwC. Schon jetzt hat fast jede dritte Stiftung einen Teil ihres Vermögens in ertragreichere und damit grundsätzlich auch riskantere Anlageformen umgeschichtet. Über die Schwierigkeiten der Niedrigzins-Phase, die entsprechenden Auswirkungen sowie die Lösungswege sprechen wir mit Berthold Theuffel-Werhahn, Leiter des Bereichs Stiftungsberatung bei PwC.

Die Stiftungslandschaft befindet sich im Umbruch. Durch das anhaltende Niedrigzinsumfeld ist Schätzungen zufolge bereits ein Drittel zumal der kleineren Stiftungen nicht mehr in der Lage, ihren Förderaufgaben nachzukommen. Allgemein: Welches aktuelle Bild der Lage spiegelt Ihre Studie?
Berthold Theuffel-Werhahn: Um trotz der niedrigen Zinsen ihr Vermögen real zu erhalten, riskieren deutsche Stiftungen offenbar mehr als bislang bekannt. Dies zeigte unsere Umfrage unter 208 der vermögensstärksten Stiftungen in Deutschland ausdrücklich. Fast jede dritte Stiftung hat einen Teil ihres Vermögens in ertragreichere – und damit grundsätzlich auch riskantere – Anlageformen umgeschichtet. Mehr als jeder zweite Stiftungsverantwortliche rechnet zudem damit, dass dieser Sektor in den kommenden vier bis fünf Jahren höhere Risiken in Kauf nehmen wird, um bei angestrebtem Vermögenserhalt gemeinnützige Zwecke in gewohntem Umfang zu erfüllen. Die Umfrage zeigt allerdings auch: Im Grundsatz halten Stiftungen an einer eher konservativen Anlagepolitik fest.

Wie ist das Vermögensportfolio einer klassischen Stiftung diversifiziert? Gilt die alte Regel 70/30 noch?
Theuffel-Werhahn: Unserer Untersuchung zufolge besteht ein Portfolio zurzeit im Durchschnitt zu 35 Prozent aus Anleihen – darunter viele Staatspapiere mit hoher Bonität. Zwar gelten diese als nahezu ausfallsicher, allerdings ist ihre Verzinsung in den vergangenen Jahren dramatisch gesunken – nahe der Nulllinie. Dasselbe gilt für Tages- und Termingeldkonten, die ein Viertel des Stiftungsvermögens ausmachen. Immerhin rund ein Fünftel des Stiftungsvermögens ist momentan in Sachwerten wie zum Beispiel Immobilien investiert; vom Preisanstieg in diesem Anlagesegment dürften also zumindest einige Stiftungen profitiert haben. Dagegen ist der Anteil von Aktien und sonstigen unternehmerischen Beteiligungen nach wie vor vergleichsweise gering.

Welche Anlagen wählen Stiftungen, um Überschüsse zu erwirtschaften beziehungsweise das Kapital zu erhalten?
Theuffel-Werhahn: Das Durchschnittsportfolio besteht immer noch zu mehr als einem Drittel aus festverzinslichen Wertpapieren. Innerhalb dieser Anlageklasse genießen mündelsichere Papiere wie Pfandbriefe oder Bundesanleihen die mit Abstand größte Popularität: Sie finden sich momentan in 44 Prozent aller Portfolien. In sonstige Staatsanleihen investieren 35 Prozent aller Stiftungen, exakt genauso viele wie in Unternehmensbonds. Immerhin jedes neunte Stiftungsvermögen enthält zudem Fremdwährungsanleihen wie beispielsweise amerikanische, britische oder Schweizer Staatspapiere. Nur jede dritte Stiftung besitzt indessen gar keine Anleihen. Die starke Fokussierung auf festverzinsliche Wertpapiere geht beim Großteil der Stiftungen zulasten der Diversifizierung: Wie sich zeigte, legen Stiftungen ihr Vermögen durchschnittlich nur in 2,5 von sieben – vorgegebenen – Assetklassen an. Kleinere Stiftungen investieren im Schnitt in nur 2,2 verschiedene Anlageformen, größere in 2,8.
Wirklich verbreitet ist, abgesehen von Anleihen, überhaupt nur eine weitere Assetklasse: Bargeld und Termingelder. 61 Prozent aller Stiftungen investieren in diese Anlageform. Aktien finden sich in 43 Prozent der Stiftungsportfolien.

Innerhalb der Anleihekategorie gibt es zudem merkliche Abweichungen. Besser situierte Stiftungen haben größere Vermögensanteile in Anleihen investiert als andere, 38 Prozent zu 33 Prozent, und legen ihr Geld tendenziell eher in Staats- und Unternehmensanleihen an. Finanziell schwächere Stiftungen setzen häufiger auf mündelsichere Papiere. Die besser aufgestellten Stiftungen streuen ihr Kapital also nicht nur breiter, sondern gehen auch etwas höhere Risiken ein. Das zeigt sich im Übrigen auch darin, dass sie häufiger in Aktien und unternehmerisches Vermögen investieren. Die finanziell weniger gut situierten Stiftungen halten hingegen einen relativ großen Teil ihres Kapitals, nämlich 25 Prozent, liquide – als Kassenbestand, auf dem Girokonto oder als Termingeld. Bei Stiftungen mit guter Finanzlage macht dieser Posten nur 13 Prozent aus.
Dass sich gerade finanziell schwächere Stiftungen auf extrem sichere Anlagen wie mündelsichere Anleihen oder Termineinlagen fokussieren, deutet möglicherweise auf eine Unsicherheit in Sachen stiftungszivilrechtlich erlaubte Anlagemöglichkeiten des Stiftungsvermögens hin. Dabei sind die Zeiten, in denen die Landesstiftungsgesetze ausschließlich extrem sicherheitsorientierte Anlagen vorschrieben, längst vorbei. Das bedeutet zwar nicht, dass Stiftungen heute unbeschränkt Risiken eingehen dürfen, auf mündelsichere Wertpapiere müssen sie sich aber längst nicht mehr beschränken. Vielmehr ist die ertraglose Vermögensanlage genauso verboten wie die rein spekulative.

Welche Sachwertinvestitionen halten Stiftungen? Inwieweit sind auch AIFs mittlerweile Portfoliobestandteil?
Theuffel-Werhahn: Eigentum an Immobilien – selbst wenn man indirekte Investments über Fonds einrechnet – hält rund jede zweite Stiftung. Unternehmerisches Vermögen findet sich in 14 Prozent der Stiftungen, Edelmetalle und andere Sachwerte in 9 Prozent und spekulative Assetklassen wie Hedge-Fonds nur – aber immerhin – bei rund jeder dreißigsten Stiftung. Dass Sachwerte künftig stärker nachgefragt werden, glauben drei von vier Stiftungsverantwortlichen.

Inwieweit nimmt das Thema Mission Investing auf die Portfolien Einfluss?
Theuffel-Werhahn: Obwohl die Nachhaltigkeit bei der Vermögensanlage häufiger thematisiert wird als früher, bestehen Vorgaben für eine satzungszweckkonforme Vermögensanlage in weniger als jeder zweiten Stiftung. Davon berichten nur 44 Prozent der befragten Stiftungen. In der Mehrzahl der Stiftungen ist nicht festgelegt, dass sie nur in Bereichen Anlagen tätigen dürfen, die ihren Stiftungszwecken entsprechen.
Zweckorientierte Vermögensanlage in der Anlagepolitik ist in den kleineren Stiftungen wesentlich häufiger durch Vorgaben geregelt als in den größeren Stiftungen: Gut in jeder zweiten kleineren, aber nur in jeder dritten größeren Stiftung existieren solche Vorgaben – 54 gegenüber 33 Prozent. Wo die Stiftungen im Wesentlichen soziale Zwecke im engeren Sinne verfolgen – wie etwa in der Jugend-, Alten-, Sozialhilfe oder in der Familienförderung – existieren ebenfalls zu einem deutlich höheren Anteil Vorgaben zur Satzungszweckkonformität der Anlagen als in den Stiftungen, deren Zwecke in Kunst, Kultur, Denkmalpflege oder Umweltschutz liegen: 49 gegenüber 37 Prozent.

Ein Ergebnis Ihrer Studie war auch, dass Stiftungen im Grundsatz an ihrer eher konservativen Anlagepolitik festhalten wollen. Halten Sie das für realistisch?
Theuffel-Werhahn: Die Sorgen sind greifbar. 38 Prozent der Stiftungen geben in unserer Umfrage an, dass sie das Zinstief deutlich spüren – elf Prozent zeigen sich sogar „stark“ oder „ausgesprochen stark“ betroffen. Die Folge ist, dass überhaupt nur noch drei von fünf Stiftungen das Ziel ausgeben, das Kapital real erhalten zu wollen. Und selbst unter ihnen ist sich nur jeder vierte nach eigener Aussage „sicher“, dieses Ziel auf längere Sicht auch tatsächlich zu erreichen. Viele Stiftungen sind inzwischen dazu übergegangen, reale Vermögensverluste billigend in Kauf zu nehmen. Man kann das realistisch nennen. Oder resignativ.

Welche Umdenkprozesse stehen an und inwiefern muss das Stiftungswesen möglicherweise anders strukturiert werden?
Theuffel-Werhahn: Im Versuch, das Zinstief zumindest partiell zu kompensieren, setzen unterdessen immer mehr Stiftungen auf eine Verbreiterung der Ein-nahmebasis. So gaben 39 Prozent der Befragten an, sich stärker als bislang auf das Thema Fundraising konzentrieren zu wollen – also zum Beispiel auf das Einwerben von Spenden oder Zustiftungen. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen lassen sich noch Freiräume für die Anlageoptimierung finden. Das darf zwar nicht so verstanden werden, dass Stiftungen unbeschränkt Risiken eingehen dürften.

Sie sagen auch, die Möglichkeiten zur Rücklagenbildung bleiben bei Stiftungen ungenutzt. Woran liegt das?
Theuffel-Werhahn: Trotz – oder gerade wegen? – des Niedrigzinsniveaus bleiben oftmals Möglichkeiten der Rücklagenbildung ungenutzt. So dürfen beispielsweise bis zu einem Drittel des jährlichen Überschusses aus der Vermögensverwaltung und darüber hinaus höchstens zehn Prozent der sonstigen zeitnah zu verwendenden Mittel – etwa Spenden, Überschüsse aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben oder Zweckbetrieben – in die freie Rücklage eingestellt werden. Von dieser Möglichkeit macht jedoch nur annähernd jede vierte Stiftung Gebrauch: Diese Stiftungen stellen mehr als 25 Prozent der Erträge in die freie Rücklage ein. Die Mehrzahl der Stiftungen indes führt der freien Rücklage allenfalls einstellige Ertragsanteile zu. Über die Gründe hierfür lässt sich nur mutmaßen.
Es liegt nahe, dass viele Stiftungen wegen der geringeren Einnahmen dazu tendieren, diese eher für ihre satzungsgemäßen gemeinnützigen Zwecke als für die Stärkung des Stiftungsvermögens zu verwenden – möglicherweise in der Hoffnung auf bessere Zeiten mit höheren Einnahmen aufgrund steigender Zinsen. Dies lässt jedoch unberücksichtigt, dass im Moment noch völlig offen ist, wann die Zinsentwicklung wieder nach oben geht. Zum anderen können aus Stiftungsvermögen, deren Erhalt nur nominell angestrebt wird, dauerhaft auch nur geringere Erträge erwirtschaftet werden – im Vergleich zu Stiftungsvermögen, die real zu erhalten angestrebt wird. Damit reduzieren sich auch die Möglichkeiten einer wirksamen Zweckerfüllung auf Dauer.

Ausblick: Inwieweit wird sich die Stiftungslandschaft verändern? Werden sich daraus rechtliche oder politische Änderungen ergeben müssen?
Theuffel-Werhahn: Allgemein herrscht Konsens darüber, dass die Stiftungseinnahmen zurückgehen werden: 95 Prozent vermuten, dass es wegen der niedrigen Zinsen weniger Einnahmen für die Stiftungen geben wird als in den letzten vier bis fünf Jahren. Auch die Fördermöglichkeiten in den nächsten vier bis fünf Jahren werden wegen der niedrigen Zinsen mit 82 Prozent von einer überwältigenden Mehrheit als rückläufig prognostiziert.
Jeweils knapp sechs von zehn Stiftungsverantwortlichen gehen davon aus, dass es mehr Stiftungsabwicklungen und -zusammenlegungen geben wird, dass neue Stiftungslösungen wie Verbrauchsstiftungen, Stiftungsgenossenschaften oder Zweckgemeinschaften angestrebt werden und dass die Stiftungen höhere Risiken in Kauf nehmen werden, um höhere Erträge zu erzielen. Dass die Niedrigzinskrise zu einer höheren Risikobereitschaft in den Stiftungen führt, um höhere Erträge zu erzielen, ist eine Vermutung, die in den größeren Stiftungen wesentlich häufiger geteilt wird als in den kleineren. Während etwa zwei von drei Verantwortlichen aus größeren Stiftungen von einer wachsenden Risikobereitschaft in der Anlagepolitik ausgehen, macht dies unter ihren Kollegen in den kleineren Stiftungen nicht einmal jeder zweite.

Die Auswirkungen des Niedrigzinsumfeldes auf die Errichtung „junger“ Stiftungen werden aktuell etwas weniger gravierend eingeschätzt als im Jahr 2009 die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Neuerrichtungen. Ging damals knapp jede zweite Stiftung aus der Vergleichsgruppe von mittelfristig rückläufigen Neuerrichtungszahlen in der Stiftungslandschaft aus, ist es heute etwa jede dritte Stiftung in der Vergleichsgruppe.
Zwar verbreitete die Anhebung des Leitzinses in den USA von 0,25 Prozent auf eine Obergrenze von 0,5 Prozent nach Abschluss unserer Umfrage zunächst Hoffnung auf steigende Renditen. Kurzfristige Auswirkungen auf den Anlagemarkt in Europa und auf die Anlagestrategien der Stiftungen dürfen jedoch nicht erwartet werden. Im Gegenteil: Spätestens die – für die allermeisten überraschende – Senkung des wichtigsten Zinssatzes der Notenbank: des Leitzinses, auf null Prozent durch die Europäische Zentralbank – zum ersten Mal in der Geschichte Europas –hat selbst diese spärlich aufkeimenden Hoffnungen zunichte gemacht.

Keine Frage: Die Stiftungslandschaft in Deutschland wird sich aufgrund der anhaltend niedrigen Zinsen merklich verändern. Dazu gehört, dass Stiftungen künftig noch stärker auf Kooperation setzen werden als bisher. Dazu gehört aber leider auch, dass einzelne Stiftungen abgewickelt werden. Von einem „Stiftungssterben“, wie teilweise zu lesen war, kann indessen nicht gesprochen werden.

Die aktuelle PwC-Studie kann hier abgerufen werden.