Vor 15 Jahren wurde der Bundesverband der Immobilien-Investment-Sachverständigen e.V. (BIIS) gegründet. Derzeit sind rund 115 Mitglieder angeschlossen, allesamt auf die Bewertung von Gewerbeimmobilien spezialisierte unabhängige Sachverständige.

Blick zurück nach vorn: Was hat sich in den letzten 15 Jahren in Ihrer Branche verändert?
Dr. Gernot Archner: Unsere Branche hat sich in dieser Zeit komplett neu aufgestellt. Wir kamen von einem gesetzgeberischen Schutzraum nach altem Investmentgesetz und agieren heute in einem freien Markt nach europäischen Standards, AIFMD und KAGB mit globalem Wettbewerb. Für uns als Bewerterorganisation heißt dies heute mehr denn je, bei allem was wir machen sich 100-prozentig auf den Markt zu konzentrieren.

Schon vor der Finanzkrise war das Thema virulent, und die Rückabwicklung vieler offener Immobilienfonds brachte ans Licht: Die Überbewertung von Immobilien kann zum Sprengstoff für Kredite, Fonds und Performance werden. Wie ist es heute? Wie sieht der Bundesverband das Thema Überbewertung?
Dr. Gernot Archner: Der Abverkauf von 40 Milliarden Immobilienvermögen binnen weniger Jahre nach der Finanzkrise in teilweise sehr schwierigen Marktverhältnissen ist letztlich eine Erfolgsgeschichte der deutschen Fondsbranche. Niemand hätte sich das heutige Gesamtergebnis mit insgesamt nur circa 12 Prozent Erlösabschlägen auf die Ausgangswerte in 2008/2009, die nach alter Rechtslage auch noch die Anschaffungsnebenkosten weitgehend mit abgedeckt haben, im Schreckensjahr 2009 vorstellen können. Für negative Leverageeffekte durch Kredite und Abwicklungskosten auf Fondsebene können Bewerter so wenig wie für schlechtes Sommerwetter. Die Anleger sehen dies ganz offensichtlich genauso und schenken dem Produkt wie auch den Bewertern heute mehr Vertrauen denn je. Bei alledem sind Überbewertungen technisch aus Bewertersicht genauso „schlimm“ wie Unterbewertungen. Viele dürften aktuell eher letzteres unterstellen. Beide Phänomene sind jedoch äußerst unscharf und nur sehr schwer zu quantifizieren. Apodiktische Urteile verbieten sich nach aller Erfahrung. Umso wichtiger ist die Bedeutung von Sachverständigenqualifikation und einer sauberen Bewertungs-Governance und hier ist der BIIS unangefochten Marktführer.

Welchen Stellenwert können Immobilien-Wertgutachten für sich generell noch beanspruchen, wenn Abweichungen von 15 Prozent und mehr durchaus üblich sind?
Dr. Gernot Archner: Preise werden in aller Regel von Werten abweichen. Dies liegt in der Natur der Sache. Die Schweizer Sachverständigen heißen deshalb zu Recht auch Schätzer. Und Abweichung ist auch nicht gleich Abweichung. 15 Prozent können im Einzelfall deutlich zu viel aber durchaus auch einmal eher gering sein. In einem sehr liquiden Markt mit einer hoher Anzahl von Vergleichspreisen und Vergleichsmieten rund um den Bewertungsstichtag dürften sich Abweichungen in engen Grenzen halten, anders möglicherweise bei Spezialimmobilien oder besonders großen Objekten in kleinen illiquiden Märkten. Es kommt immer auf das Objekt und den relevanten Markt zu einem bestimmten Zeitpunkt an. Abweichungen von 15 Prozent und mehr kommen selbst einmal in institutionellen Bieterverfahren mit professioneller Vendor due diligence vor. Auch institutionelle Käufer legen ihren Geboten in liquiden und dynamischen Märkten sehr unterschiedliche Annahmen und Erwartungen zugrunde. Insofern sind Abweichungen von Preisen und Werten kein Fehler sondern dem normalen Marktgeschehen geschuldet. Insgesamt bewegen sich die Abweichungen von Verkaufspreisen zu letzten Buchwerten nach unserer Datenbank mit einem Verkaufsvolumen von über 150 Milliarden Euro seit 2005 aber im einstelligen Prozentbereich, wobei wir bis Ende 2013 auch im Publikumsfondsbereich nur jährliche Regelbewertungen hatten. Ein sehr gutes Gesamtergebnis wie ich finde, das zeigt, dass die Produktarchitektur nachhaltig funktioniert.

Wenn alle Abweichungen mit dem normalen Marktgeschehen erklärt werden können, warum wird dann mit der Herausgabe von Gutachten auch an eine interessierte und einschlägig versierte Öffentlichkeit so gegeizt? Gutachten werden in aller Regel unter Verschluss gehalten.
Dr. Gernot Archner: Im Bereich der gerichtlichen Zwangsversteigerungen sind die Gutachten unserer Sachverständigen vollständig öffentlich, so dass es grundsätzlich nicht am mangelnden Willen der Sachverständigen liegt, weil diese etwa eine zusätzliche Haftung scheuten.
TMW hat mal für den damaligen Weltfonds alle wesentlichen Bestandteile der Gutachten auf ihrer Homepage veröffentlicht. Auf größeres Interesse stießen die Gutachten nicht, weshalb man den Mehraufwand der Aufbereitung irgendwann sein ließ. Geholfen hat es dem Fonds letztlich nicht, er wurde abgewickelt.
Im Spezialfondsbereich bekommen die institutionellen Anleger grundsätzlich auf Wunsch alle Gutachten. In den Anlageausschusssitzungen erläutern Sachverständige auch hin und wieder einmal einzelne Gutachten. Im Bereich der geschlossen Publikumsfonds händigt die Deutsche Bank meines Wissens auf direkte Nachfrage von Anlegern auch Gutachten an diese aus. Diese müssen jedoch eine Vertraulichkeitserklärung abgeben, wenn ich richtig informiert bin.
Es ist also durchaus eine differenzierte Sachlage zur Veröffentlichung von Gutachten im deutschen Markt gegeben. Grundsätzlich entscheiden immer die Auftraggeber über eine Veröffentlichung von Privatgutachten, nicht die Sachverständigen. Diese sind vielmehr sogar strafbewehrt zur beruflichen Verschwiegenheit verpflichtet. Siehe Paragraf 203 Absatz 2 Nr. 5 Strafgesetzbuch. Dies ist vielfach gar nicht einfach, da zwar Werte und die Namen von Sachverständigen veröffentlicht werden, nicht aber deren Gutachten und den Sachverständigen bei öffentlicher Kritik förmlich die Hände gebunden sind.
Im Ausland – selbst im angelsächsischen Ausland und vermeintlichen Transparenz-Weltmeister – ist man mit der Veröffentlichung von Gutachten wegen höherer Haftungsrisiken jedoch noch deutlich zurückhaltender als bei uns.

Wie schätzen Sie die Auswirkungen des Brexits auf die europäischen Immobilienmärkte ein? Und speziell für den Raum Frankfurt?
Dr. Gernot Archner: Der Brexit bleibt einstweilen eine große Nebelbank. „Brexit means Brexit“ hieß es 2016, aber was heißt „Brexit“ heute? Einen Zusammenhang zwischen Brexit und Veränderungen an den europäischen Immobilienmärkten herzustellen erscheint mir nur schwer möglich. Für Frankfurt und dessen Büromarkt dürfte der Einstieg von Cerberus bei der Commerzbank wohl gewichtiger sein als alle berechtigten oder unberechtigten Brexit-Hoffnungen.

Was sind die größten Herausforderungen für den Markt der Gewerbeimmobilien in den kommenden Monaten - Kreditklemme, Zinswende, Überbewertung oder politische Entscheidungen?
Dr. Gernot Archner: Es dürften letztlich die Notenbanken sein, die über das weitere Schicksal der Märkte entscheiden. Aber auch das ist keine wirklich neue Erkenntnis. Allerdings ist die Fallhöhe der Kapitalwerte bei einem Renditeniveau von drei Prozent gegenüber fünf Prozent eine andere, vorausgesetzt dass wir alle zu Lebzeiten jemals wieder „normale“ Zinsniveaus sehen.

Dr. Gernot Archner ist Geschäftsführer des BIIS Bundesverband der Immobilien-Investment-Sachverständigen e.V.