Was ist neu? Die Regulierung von Finanzinstrumenten und damit auch von Anteilen an geschlossenen Investmentvermögen hat sich bislang im Wesentlichen auf Vorschriften für den Vertrieb konzentriert. Werbemittel müssen beispielsweise redlich, eindeutig und nicht irreführend sein (§ 31 Abs. 2 WpHG), und Anlageberater müssen anleger- und anlagegerecht beraten (§ 31 Abs. 4 WpHG). Von der neuen Regulierung durch MiFID II sind nunmehr auch die Initiatoren beziehungsweise „Hersteller“ von Finanzinstrumenten betroffen. Im Rahmen der Konzeption von Finanzinstrumenten müssen die Hersteller ein Produktfreigabeverfahren einführen, durch das gewährleistet werden soll, dass nur Finanzinstrumente geschaffen und anschließend angeboten werden, die für Anleger sinnvoll sind.

Freigabeverfahren. Die Pflicht zur Einführung eines Produktfreigabeverfahrens trifft unmittelbar nur Wertpapierdienstleistungsunternehmen und nicht Kapitalverwaltungsgesellschaften oder Initiatoren von Vermögensanlagen. Allerdings sind Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die von Dritten konzipierte Finanzinstrumente vertreiben wollen, verpflichtet, Informationen zum Produktfreigabeverfahren bei dem konzipierenden Unternehmen einzuholen. Diese Verpflichtung gilt unabhängig davon, ob der Hersteller ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist oder nicht. Im Ergebnis führt dies dazu, dass Kapitalverwaltungsgesellschaften und Initiatoren von Vermögensanlagen, die rechtlich zwar nicht unmittelbar unter MiFID II fallen, die Vorgaben jedoch trotzdem beachten müssen, um den Vertrieben die erforderlichen Informationen über ihr Produktfreigabeverfahren geben zu können.

Angemessenheit von Risiken und Kosten. Das Produktfreigabeverfahren im Rahmen der Konzeption von Finanzinstrumenten erfordert unter anderem eine Analyse von möglichen Interessenkonflikten im Zusammenhang mit der Auflage des Finanzinstrumentes, eine Szenarioanalyse, bei der bewertet wird, welche Risiken bestehen und wie sich Verschlechterungen der Marktbedingungen oder finanzielle Schwierigkeiten bei Vertragspartnern auf das Finanzinstrument auswirken, sowie die Bestimmung eines Zielmarktes für das jeweilige Finanzinstrument. Sodann muss untersucht werden, ob das Risiko-/Ertragsprofil des Finanzinstrumentes sowie die Kosten und Gebühren mit den Bedürfnissen, Zielen und Merkmalen des definierten Zielmarktes vereinbar sind. Die Gebühren dürfen nicht die „Renditeerwartungen untergaben“ und müssen hinreichend transparent und nicht so komplex gestaltet sein, dass sie vom Anleger nicht verstanden werden.

Zielgenau. Derzeit wird primär diskutiert, wie die Bestimmung des Zielmarktes erfolgen kann. Wertpapierdienstleistungsunternehmen haben ein Interesse, dass die Zielmarktbeschreibungen nicht allzu detailliert werden, da sonst die Kreise der möglichen Anleger für einzelne Finanzinstrumente zu klein werden. Andererseits erwartet der Regulierungssetzer offensichtlich Zielmarktbeschreibungen, die nicht allzu pauschal, sondern „hinreichend granular“ sind.

Umstellung. Grundsätzlich dürften die Anforderungen an das Produktfreigabeverfahren für Kapitalverwaltungsgesellschaften nichts vollkommen Neues sein. Analysen auf Interessenkonflikte und Szenarioanalysen werden bereits heute schon durchgeführt, um die Anforderungen des KAGB an das Risikomanagement und die faire Behandlung der Anleger zu erfüllen. Daher ist anzunehmen, dass bei Kapitalverwaltungsgesellschaften viele bestehende Prozesse nur erweitert werden müssen, um die Anforderungen von MiFID II zu erfüllen. Da Initiatoren von Vermögensanlagen keine organisatorischen Anforderungen erfüllen müssen, ist nicht auszuschließen, dass für diese Unternehmen die Einführung von Produktfreigabeverfahren mit größeren Umstellungen verbunden sein wird.

Informationsfluss. Eine große Herausforderung für Hersteller von Finanzinstrumenten wird die Übermittlung der notwendigen Informationen zum Produktfreigabeverfahren an die Vertriebspartner sein. Zwar werden alle Vertriebspartner inhaltlich die gleichen Informationen anfordern, aber es ist davon auszugehen, dass die Art und Weise der Informationsübermittlung unterschiedlich sein wird. Die Hersteller müssen also in der Lage sein, die angeforderten Informationen über unterschiedliche Schnittstellen in die Systeme der Vertriebspartner einzuspielen.

Zeitplan. Die Einführung der MiFID II-Regelungen ist auf den Januar 2018 verschoben worden. Trotzdem sollten sich Kapitalverwaltungsgesellschaften und Initiatoren von Vermögensanlagen frühzeitig mit MiFID II beschäftigen. Denn nur mit einer genauen Kenntnis der MiFID II-Anforderungen und nach einer umfassenden Analyse der bestehenden Prozesse kann festgestellt werden, in welchem Umfang Veränderungen bei einer Kapitalverwaltungsgesellschaft notwendig sind.



fondstelegramm: Ob die Produkte für den Anleger Sinn machen, soll von ihrem Hersteller geprüft werden? Das heißt doch, dass der Bock zum Gärtner gemacht wird – oder um es mit Wolfgang Schäuble zu sagen: Die Entscheidung, die Sümpfe trocken zulegen, können wir nicht allein den Fröschen überlassen.
Dr. Gunter Reiff: Bei der Sinnfrage muss man berücksichtigen, warum dieses Verfahren überhaupt eingeführt wird. Das Produktfreigabeverfahren ist eine Reaktion auf bestimmte Zertifikate oder Anleihen mit teilweise sehr komplexen und schwer verständlichen Strukturen. Bei ihnen sind Rückflüsse von der Entwicklung einzelner Aktien oder Indizes abhängig. Eine sogenannte Aktienanleihe ist beispielsweise ein Wertpapier, bei dem der Anleger eine feste Verzinsung erhält und am Ende der Laufzeit entweder den Nennbetrag oder aber eine bestimmte Anzahl von Aktien, sofern deren Kurs unter einer bestimmten Schwelle liegt. Bei wirtschaftlicher Betrachtung handelt es sich bei der Aktienanleihe um den Verkauf einer Verkaufsoption. Es erscheint fraglich, ob alle Anleger, die eine Aktienanleihe erwerben, wissen, dass sie ein Chancen/Risikoprofil erwerben, das demjenigen des Verkaufs einer Verkaufsoption gleicht.
Durch den Produktfreigabeprozess muss der Emittent nun seine Überlegungen bei der Konzeption dokumentieren und darlegen, für welche Anleger das Produkt sinnvoll sein kann. Dabei kann sich herausstellen, dass das Produkt nur für wenige Anleger geeignet ist und zugleich der Emittent „gegen den Anleger spekuliert“. Daran mag der Emittent ein Interesse haben. Durch die Regulierung soll aber derjenige Mitarbeiter, der das Produkt freigeben soll, letztendlich doch Skrupel bekommen. Um bei Ihrem Vergleich aus der Fabel- und Märchenwelt zu bleiben: Der Gedanke des Produktfreigabeverfahrens besteht in der Annahme, dass der Wolf Rotkäppchen nicht verspeisen würde, wenn er zuvor eine von Dritten einsehbare Dokumentation anfertigen müsste, welchen objektiven Nutzen Rotkäppchen davon hat.

AIF sind nach KAGB aber anders strukturiert als die beschriebene Aktienanleihe.
Dr. Gunter Reiff: Bei Vermögensanlagen und geschlossenen Investmentvermögen dürften die skizzierten Probleme in erheblich geringerem Umfang auftreten, da die Komplexität der Produkte meistens geringer ist und auch gegenläufige Interessen zwischen Initiator und Anleger seltener anzutreffen sind. Kapitalverwaltungsgesellschaften und Initiatoren von Vermögensanlagen sind zwar von der Regulierung betroffen, aber sie waren nicht der Auslöser für die Regulierung.

Betroffen ist "nur" der (WpHG-geregelte) Bankenvertrieb, richtig? Nicht der freie Vertrieb?
Dr. Gunter Reiff: Das ist zutreffend. Bislang sollen die Regelungen nur Wertpapierdienstleistungsunternehmen betreffen. Nachdem in der Finanzanlagenvermitterverordnung jedoch die WpHG-Regelungen in großem Umfang übernommen wurden sind, ist nicht ausgeschlossen, dass die MiFID II-Regulierungsmaßnahmen in mehr oder weniger großem Umfang auch auf die freien Vertriebe übertragen werden.

Die Analyse von Interessenskonflikten aus der Perspektive eines gegebenenfalls Involvierten ist eigentlich nicht zu bewerkstelligen. Wie genau sieht die Inhouse-Analyse etwaiger Interessenskonflikte aus?
Dr. Gunter Reiff: Kapitalverwaltungsgesellschaften müssen gemäß Paragraf 27 Absatz 1 KAGB „alle angemessenen Maßnahmen treffen, um Interessenkonflikte zu ermitteln“. In Absatz 2 ist festgelegt, dass eine Kapitalverwaltungsgesellschaft wirksame organisatorische und administrative Vorkehrungen treffen muss, die es ermöglichen, alle angemessenen Maßnahmen zur Ermittlung, Vorbeugung, Beilegung und Beobachtung von Interessenkonflikten zu ergreifen. Die Kapitalverwaltungsgesellschaft muss verhindern, dass Interessenkonflikte den Interessen der Investmentvermögen und ihrer Anleger schaden. Somit gibt es bei regulierten Kapitalverwaltungsgesellschaften bereits heute entsprechende Verfahren. Wesentlich ist auch hier die Aufteilung von Verantwortlichkeiten auf verschiedene Mitarbeiter. Dem Mitarbeiter, der Interessenkonflikte identifiziert, müssen ausreichende Kompetenzen gegeben werden, um Interessenkonflikte zu verhindern. Letztendlich ist die Organisationsstruktur und der persönliche Einsatz der Mitarbeiter entscheidend, wie innerhalb eines Unternehmens Interessenkonflikte bewältigt werden.

Die kritische Analyse des eigenen Produkts wird doch allenfalls dann stattfinden, wenn strenge Sanktionen zu befürchten sind. Gibt es die denn?
Dr. Gunter Reiff: Wie bei vielen aufsichtsrechtlichen Regelungen werden Anleger regelmäßig aus der Verletzung dieser Regelungen keinen Schadensersatzanspruch geltend machen können. Denn aufsichtsrechtliche Pflichten entfalten in der Regel keine unmittelbare Schutzwirkung zu Gunsten Dritter. Daher ist es wohl eher unwahrscheinlich, dass ein Anleger Schadensersatzansprüche geltend machen kann mit dem Argument, er habe in ein Produkt investiert, das es bei einem ordnungsgemäßen Produktfreigabeverfahren nicht hätte geben dürfen.
Allerdings wird die Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften von den Wirtschaftsprüfern und der BaFin überwacht. Insofern müssen sich die Mitarbeiter zumindest für die von ihnen gelebten Prozesse rechtfertigen.

"Hinreichend granular". Warum bleibt das Vorhaben so nebulös?
Dr. Gunter Reiff: Der Regulierungssetzer verlangt im englischen Text, dass die Zielgruppe „sufficient granular“ bestimmt wird. In der deutschen Übersetzung heißt das dann „mit ausreichender Detailtiefe“. Bei der Vielfalt der erfassten Finanzinstrumente kann der Regulierungssetzer natürlich nur sehr allgemeine Kriterien für die Zielgruppenbestimmung angeben. Es sollte jedoch als Chance angesehen werden, dass die Konkretisierung den Normanwendern, also der Finanzwirtschaft, überlassen wird. Zwar wird die BaFin sicherlich auch Meinungen äußern, aber grundsätzlich können nun erst einmal Vorschläge erarbeitet werden, die von Produktherstellern als praktikabel bewertet werden.

Interessenskonflikte, Sensitivitätsanalyse, Zielmarktbestimmung, Risiko-/Ertragsprofil-Bewertung, Angemessenheit von Gebühren, Verständlichkeitsanalyse. Die Kategorien scheinen auf den ersten Blick die für den Anlegerschutz relevanten zu sein. Es sind aber so allgemeine Labels, dass der Effekt ins Gegenteil umschlägt: Die Produkte scheinen einer Prüfung unterzogen worden zu sein. Aber das Unbedenklichkeitssiegel ist doch vorprogrammiert. Ketzerische Frage: Was soll das bringen? Wird es nicht die Situation noch verschlimmern?
Dr. Gunter Reiff: Wir werden nie erfahren, ob und welche Produkte auf Grund eines negativ verlaufenden Produktfreigabeverfahrens nicht zur Marktreife gebracht werden. Allerdings können wir die tatsächlich angebotenen Produkte ab dem Jahr 2018 bewerten. Wenn ihre Hersteller die Regulierung ernst nehmen und als Chance zur Qualitätsverbesserung begreifen, können die Produkte tatsächlich besser werden. Dies gilt jedoch – wie gesagt – insbesondere für komplexe Wertpapiere. Bei geschlossenen Investmentvermögen erwarte ich weniger große Qualitätsverbesserungen, da diese durch das KAGB reguliert sind, so dass die Situation bei diesen Produkten bereits heute gar nicht so „schlimm“ ist.


Hinweis. Am 28. April 2016 findet in München ein Halbtages-Seminar statt, das sich ausschließlich auf die Auswirkungen von MiFID II auf Kapitalverwaltungsgesellschaften und Initiatoren von Vermögensanlagen konzentriert. Dr. Gunter Reiff von RP Asset Finance Treuhand wird die rechtlichen Rahmenbedingungen erläutern, während Reinhard Kühn und Dr. Andreas Geyer von d-fine die organisatorischen Veränderungsprozesse darstellen werden. Abgerundet wird die Veranstaltung durch einen Bericht von Alexander Beigel, BWEquity, der erste Erfahrungen aus der Einführung von MiFID II bei Vertriebsorganisationen berichten wird. Die Veranstaltung wird von Maurizio Singh (msg Consulting) organisiert. Nähere Informationen finden sich hier.

Dr. Gunter Reiff ist Rechtsanwalt und Steuerberater bei der RP Asset Finance Treuhand, München