Um 20 bis 35 Prozent seien Wohnimmobilien überbewertet, warnte kürzlich die Deutsche Bundesbank, und zwar nicht nur in den Ballungszentren, sondern auch im ländlichen Raum. Dabei ändert sich an den Rahmenbedingungen, die dazu führten, nicht viel. Die EZB steckt in der Klemme. Sie müsste die Zinsen erhöhen, um der Inflation entgegenzuwirken, würde damit aber riskieren, den wirtschaftlichen Aufschwung abzuwürgen. Einstweilen steht aber ohnehin alles im Zeichen größter Verunsicherung durch den Ukrainekrieg. Martin Lippmann vom Immobilien-Research der DWS ordnet die aktuellen Ereignisse in eine längerfristige Entwicklungsperspektive ein.


Herr Lippmann, wie sehr sind die europäischen Immobilienmärkte vom Ukraine-Krieg tangiert?

Martin Lippmann: Grundsätzlich erwarten wir keine signifikant erhöhten Risiken für Immobilienanlagen in Europa als Folge des Krieges in der Ukraine, wenngleich natürlich regionale Unterschiede zum Tragen kommen. Kurzfristig sehen wir durchaus gestiegene Unsicherheiten an den Miet- und Investmentmärkten insbesondere in Osteuropa, die sich unter anderem in fallenden Wechselkursen manifestieren. Mittelfristig könnten auch negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung die europäischen Immobilienmärkte verstärkt treffen. Dennoch sehen wir das Wirtschaftswachstum, aber auch die Entwicklung der Immobilienmärkte in Europa im Jahr 2022 weiter positiv.

Verschiedene Beobachter haben zuletzt immer wieder von Immobilienblasen gesprochen.

Lippmann: Die akute Gefahr einer Blasenbildung sehen wir bisher nicht. Zwar gehen wir davon aus, dass mittelfristige Korrekturen im Zinsumfeld auch steigende Anfangsrenditen an den Immobilienmärkten mit sich bringen. Aufgrund der weiterhin hohen Risikoaufschläge gegenüber Staatsanleihen bleiben Immobilienanlagen allerdings attraktiv. Zudem dürften "Safe Haven"-Aspekte partiell an Bedeutung gewinnen. Gegen eine Blasenbildung spricht darüber hinaus die Entwicklung der Mietmärkte, an denen sich in den vergangenen Monaten die Nachfrage erholt und im Zusammenspiel mit niedrigen Leerständen und moderaten Fertigstellungen vielfach zu neuerlichem Mietwachstum geführt hat.

Ist eine steigende Inflation, die uns ja angesichts anziehender Energiepreise bevorsteht, gut oder schlecht für Immobilieninvestments?

Lippmann: Steigende Inflation dürfte in der Tat Auswirkungen auf Immobilienmärkte haben, allerdings eher mittelfristig. Anders als beim privaten Konsum sind Versorgungsverträge häufig an gewisse Fristen gebunden und dürften sich nicht direkt bei Endverbrauchern und Mietern niederschlagen. Indexierte Mietverträge bieten, insbesondere in gut vermieteten und vermietbaren Immobilien, einen soliden Schutz vor steigender Inflation. Letztlich könnten sich steigende Inflationsraten damit insgesamt als positiv für Immobilienmärkte erweisen.

Inwiefern können Zweitrundeneffekte die Wertentwicklung von Immobilien tangieren?

Lippmann: Infolge steigender Inflation dürften auch Mietniveaus und Immobilienpreise im Spitzensegment anziehen und sich die Polarisierung, insbesondere im Büromarkt, beschleunigen. Letztlich könnten Immobilienwerte im Spitzensegment steigen, während schwächere Objekte schneller abwerten und unter energetischen Gesichtspunkten zu "Stranded Assets" werden. Auch diese Entwicklung dürfte die Polarisierung im Markt beschleunigen.

Immobilien sind nicht nur im Abverkauf, sondern auch in der Herstellung regelmäßig immer teurer geworden. Wie schätzen Sie diesbezüglich die weitere Entwicklung ein?

Lippmann: Wesentliche Treiber der Baukostenanstiege waren steigende Energiepreise, anziehende Rohstoffkosten und der Mangel an Arbeitskräften. Preise für einzelne Rohstoffe und Vorprodukte jenseits des Energiesektors könnten möglicherweise im aktuellen Marktumfeld wieder sinken und damit inflationäre Tendenzen begrenzen. Insofern rechnen wir perspektivisch mit weiter steigenden Baukosten, die Dynamik dürfte sich mittelfristig jedoch abschwächen.

Welche Zinspolitik erwarten Sie von der EZB angesichts des Ukraine-Konflikts? Und welche Auswirkung hätte das auf Immobilieninvestments?

Lippmann: Nach aktuellem Stand erwarten wir keine grundsätzliche Veränderung in der Zinspolitik der EZB. Eine steigende Inflation infolge von anziehenden Energiekosten dürfte Zinsschritte jedoch auch weiterhin nötig machen, wenn nicht sogar beschleunigen. Demgegenüber könnte eine nachlassende wirtschaftliche Dynamik, die mit zunehmender Dauer und Schwere des Konflikts sukzessive ansteigt, Zinserhöhungsspiel- und Zeiträume begrenzen.

Wie geht es weiter in den Anlagesegmenten Wohnen und Büro?

Lippmann: Bei Wohnimmobilien ist der Leerstand gering, und die Nachfrage dürfte infolge anziehender Flüchtlingszahlen tendenziell steigen. Insofern erwarten wir einen weiteren Nachfrageschub für Wohninvestments, verbunden mit neuerlichem Preisdruck auf einem ohnehin hohen Niveau. Im Bürosektor erwarten wir eine zunehmende Polarisierung in der Mieternachfrage bezüglich Objektqualität und Lage. Dies bestärkt uns in unserer Ansicht, dass sich Anleger auf Büros der nächsten Generation an ausgewählten Standorten mit hoher Produktivität konzentrieren sollten.

Vielen Dank für das Gespräch. (tw)