Corona macht es unmöglich, dass am 19. November 2020 alle rund 1.200 Anleger des Hesse-Newman-Fonds "Classic Value", dem eine große Büroimmobilie im Frankfurter Europaviertel gehört, zur Abstimmung über ihren Verkauf kommen können. Fristen für eine Online-Abstimmung oder zur Vollmachtserteilung laufen schon vorher ab.

Die Anleger sollen einem von Quest Funds, einem Unternehmen der Nordcapital-Gruppe, entwickelten Konzept zustimmen. Es sieht vor, die Fondsimmobilie ohne ein öffentliches Bieterverfahren an Quest zu verkaufen. Dagegen regt sich seitens einiger Investoren Widerstand. In einem Brandbrief, der FONDS professionell ONLINE vorliegt, werden Mitanleger aufgefordert, dem von Nordcapital vorgestellten Aufwertungskonzept nicht zuzustimmen, weil es den "Anschein eines massiven Interessenkonflikts" habe.

Alles aus einer Hand
Um den Fall nachvollziehen zu können, muss man einige Jahre zurückblicken. Das Emissionshaus Hesse Newman hatte 2010 und 2011 den ersten Fonds seiner Serie "Classic Value" vertrieben. Das Fondsmanagement ging 2015 an Nordcapital, nachdem sich Hesse Newman aus dem Neugeschäft zurückgezogen hatte. Im März 2020 wechselte auch die Treuhandgesellschaft, in deren Auftrag Nordcapital Treuhand bis dahin agierte, ins Eigentum der Nordcapital-Gruppe. Alle Funktionsträger sind nun unter einem Dach, eine klassische Situation, in der Interessenkonflikte schwelen können.

Fondsobjekt ist eine große Büroimmobilie im Frankfurter Europaviertel. Das Investitionsvolumen beläuft sich auf 88,3 Millionen Euro, etwa die Hälfte ist Eigenkapital, das rund 1.200 Anleger halten. Das restliche Geld stammt aus einer Fremdfinanzierung, die Ende dieses Jahres fällig wird. Der Mietvertrag mit dem Alleinmieter Deutsche Bahn endet im März 2021. Es muss also eine Lösung gefunden werden.

Aufwertungskonzept statt Verkauf
Nachdem sich Bemühungen um eine Anschlussvermietung als erfolglos erwiesen haben, stellt Nordcapital zwei Handlungsoptionen in den Raum. Zum einen gibt es die Möglichkeit, die Fondsimmobilie im aktuellen Zustand zu verkaufen. Das zweite Konzept sieht vor, Grundstück und Immobilie voneinander zu trennen und in zwei Stufen an Quest zu verkaufen. In der Zwischenzeit sollen Modernisierungsmaßnahmen bis 2025 eine bessere Vermietbarkeit ermöglichen.

Auf Basis eines Erbbaurechts soll die Immobilie für rund 80 Millionen Euro an einen dem Konzern zugehörigen Spezial-AIF gehen. Das Grundstück soll zunächst im Eigentum der Fondsgesellschaft verbleiben, die dafür einen Erbbauzins erhält. Der Spezial-AIF finanziert die Umbaumaßnahmen, und 2025 bekäme er die Option, das Grundstück zu erwerben. Je nach Erfolg der Neuvermietung soll er dafür einen Betrag zwischen rund 51 und rund 75 Millionen Euro entrichten. Der Fonds käme also in zwei Schritten auf einen Verkaufserlös von insgesamt 131 bis 155 Millionen Euro. Ein von der Nordcapital-Gruppe in Auftrag gegebenes Gutachten ermittelte einen aktuellen Verkehrswert der Immobilie von 121 Millionen Euro.

Streitpunkt Verkehrswert
Die Autoren des Brandbriefs treten hingegen dafür ein, dass sich bei einem öffentlichen Bieterverfahren wesentlich mehr erlösen ließe. In einer Beispielrechnung kommen sie auf Basis der im Nordcapital-Konzept prognostizierten Mieten und Projektentwicklungskosten sowie einem angenommenen Kaufpreisfaktor von 30 auf einen möglichen Verkaufserlös von 228 Millionen Euro. Aber auch wenn dieser Wert nicht erzielt würde: Die Autoren des Brandbriefs sind überzeugt, dass das Ergebnis eines öffentlichen Bieterverfahrens auf jeden Fall oberhalb des Erlöses aus einem Verkauf innerhalb des eigenen Konzerns liegen würde, zumal die Option auf den späteren Grundstückserwerb ja gegebenenfalls nicht gezogen würde, woraufhin es dann bei der ersten Tranche zu rund 80 Millionen Euro und weiteren Erbbauzinsen bliebe.

Von FONDS professionell ONLINE auf die Alternative eines öffentlichen und transparenten Bieterverfahrens angesprochen, antwortet Quest, dass das eher für "klassische Verkäufe von Immobilien" gedacht sei. Hier käme jedoch nur ein eingeschränkter Kreis von Projektentwicklern infrage. "Zudem konnte die Geschäftsführung annehmen", begründet Quest weiter, "dass sich ein Verkauf mit dem Beginn der Covid-19-Pandemie erschwert durchführen lässt". Dem steht jedoch die Einschätzung zahlreicher Immobilienmarktbeobachter gegenüber, dass die Transaktionszahl in der Corona-Krise bislang zwar rückläufig war, nicht jedoch die Preise für gute Immobilien an guten Standorten.

Auch mit ihrer Stellungnahme zum Interessenkonflikt bleibt Quest eher ausweichend. "Wir weisen diesen Vorwurf entschieden zurück", schreibt das Unternehmen, stellt dann aber darauf ab, dass das vorgestellte Konzept "nach unserer festen Überzeugung ein deutlich besseres Ergebnis" möglich mache. Das ist aus Sicht von Quest sicher nicht falsch, löst aber den Interessenkonflikt nicht.

Online-Abstimmung und Vollmachten vorziehen
Über die Annahme oder Ablehnung des Konzepts soll auf einer Gesellschafterversammlung am 19. November 2020 entschieden werden, die aber unter dem Vorbehalt einer Corona-konformen Durchführbarkeit steht. Insofern empfiehlt die Nordcapital Treuhand, entweder über das Online-Anlegerportal bis zum 18. November abzustimmen oder bis zum 12. November Vollmachten zu erteilen. (tw)