Offensichtlich haben die über 6.000 DAV-Mitglieder als unabhängige berufsständische Vertreter der in Deutschland tätigen Versicherungs-, Vorsorge-, Bauspar- und Finanzmathematiker diesmal besonders intensiv beraten, ehe sie ihre Empfehlung an das BMF und die Aufsichtsbehörde Bafin schickten. Am Ende blieb es bei der Empfehlung, am Höchstrechnungszins für Lebensversicherungen (umgangssprachlich: Garantiezins), der seit 1. Januar 2022 bei 0,25 Prozent liegt, auch 2024 nicht zu rühren.

Tatsächlich bis einschließlich 2024, oder war das ein Druckfehler in der DAV-Pressemeldung? "Kein Druckfehler", so die DAV auf Nachfrage von FONDS professionell ONLINE. "Die DAV gibt ihre Empfehlung stets für das übernächste Jahr ab." Die Empfehlung für 2023 hatten die Aktuare bereits am 29. November 2021 abgegeben.

Aktuare sehen noch keine dauerhafte Zinserhöhung
Tatsächlich ist das laufende Jahr von gestiegener Inflation und dem Bemühen der Zentralbanken geprägt, dieser mit Hilfe von deutlichen Zinssteigerungen zu begegnen. Dennoch hat sich der DAV-Vorstand für unverändert 0,25 Prozent Höchstrechnungszins auch 2024 ausgesprochen. "Wir betrachten nicht nur dieses eine Jahr, in dem die Zinsen am Markt wieder gestiegen sind, sondern beziehen verschiedene Faktoren mit ein", begründet Herbert Schneidemann. Die Zinssituation am Kapitalmarkt müsse sich erst dauerhaft stabilisieren, bevor man einen höheren Höchstrechnungszins empfehlen könne, so der DAV-Vorstandsvorsitzende. Er hatte bereits im August prophezeit: "Ich würde in den nächsten drei bis fünf Jahren bei der KLV nicht mit einem Anstieg der laufenden Verzinsung rechnen."

Zweifelsohne trügen derzeit eine Menge disruptiver Faktoren wie Ukraine-Krieg, gestiegene Inflation und Pandemie zu einer volatilen Zinssituation bei. Dennoch schätzen die Aktuare die Veränderungen in der Finanzsteuerung der Versicherer – durch das langjährige Niedrigzinsumfeld ausgelöst – als nachhaltig und dauerhaft ein. "Eine allzu schnelle Anpassung des Höchstrechnungszinses ist nicht geboten", erklärt Schneidemann. Man habe auch die relativ niedrige Langzeiterwartung für Zinsen im Blick. "Inverse Zinsstrukturkurven besagen, dass kurzfristig zwar mit steigenden Zinsen gerechnet wird, nicht aber langfristig."

Höchstrechnungszins verliert an praktischer Bedeutung
Der Höchstrechnungszins hat in der Lebensversicherung jedoch an Bedeutung verloren. Zwar ist der Bestand kapitalbildender Lebensversicherungen (KLV) auch 2021 immer noch beachtlich: 14.941.711 Policen halten die Versicherer branchenweit. Im Neugeschäft aber spielt die KLV seit Jahren keine Rolle mehr. Nur rund 302.000 Verträge wurden 2021 neu vermittelt (6,3 Prozent des Neugeschäfts). Und auch im Bereich der dominierenden Rentenpolicen sinken die Anteile von alter und neuer Klassik, die überhaupt Garantiezinsen versprechen, dramatisch zugunsten von Fondspolicen. Nur noch 21 Anbieter offerieren alte Klassik und 23 neue Klassik, wobei letztere noch weniger Garantien als 0,25 Prozent bieten.

Die DAV macht aber auf einen weiteren Aspekt im Zusammenhang mit Garantien aufmerksam. Trotz verbessertem Zinsumfeld ändere sich nichts an der Notwendigkeit, Garantieanforderungen für staatlich geförderte Vorsorgeprodukte zu überarbeiten, betont Schneidemann. "Nach wie vor gibt es eine 100-Prozent-Beitragsgarantie für Lebensversicherungsprodukte, sodass ein Gros der Beiträge für die Absicherung der Garantien gebraucht wird." Dies vermindere die Möglichkeit, chancen- und renditereicher zu investieren. "Der Gesetzgeber ist gefragt, den Weg für ein besseres Risiko-Rendite-Verhältnis zu ebnen", mahnte die DAV erneut.

Garantiesenkungen bei Riester und BZML dringend geboten
Gemeint sind primär Riester-Verträge und Beitragszusagen mit Mindestleistung (BZML) in der bAV, bei denen das Guthaben bei Rentenbeginn die volle Summe aller eingezahlten Beiträge aufweisen muss (100-Prozent-Beitragsgarantie). In der bAV haben die Versicherer sich überwiegend schon von der BZML abgewandt und vermitteln insbesondere Produkte für die beitragsorientierte Leistungszusage (BoLZ). Häufig werden dort nur 80 Prozent Beitragsgarantie geboten, manche halten sogar nur 50 Prozent für gerechtfertigt. Studien halten diesen Korridor für vertretbar, Gesetzgeber und Bundesarbeitsgericht haben dazu jedoch noch keine offiziellen Worte gesprochen.

2019 hatte die 1973 gegründete DAV ihre Methodik zur Ermittlung des Höchstrechnungszinses angepasst. Die Zinsempfehlung orientiert sich seither nicht mehr primär an den historischen Renditen europäischer AAA-gerateter Staatsanleihen. Vielmehr werden die künftig realistisch am Kapitalmarkt erzielbaren Renditen der Lebensversicherer für Neuverträge zugrunde gelegt.

Hintergrund für den Höchstrechnungszins
Dazu wurde ein repräsentatives Neuanlageportfolio eines Lebensversicherers mit konservativer Anlagestrategie modelliert. Dieses besteht im Wesentlichen aus festverzinslichen Wertpapieren und einem geringen Anteil aus Substanzwerten wie Aktien und Immobilien. Unter Annahme verschiedener Zinsentwicklungen werden die aus diesem Portfolio abgeleiteten Durchschnittsrenditen in die Zukunft projiziert. (dpo)