Die Lebensversicherer sind bisher im Großen und Ganzen gut durch die Corona-Pandemie und auch das Niedrigzinsumfeld gekommen. Nun kann die Branche darauf hoffen, dass die Zinswende ihnen Erleichterungen bei der Zinszusatzreserve (ZZR) bereiten wird, die sie im Zuge der Niedrigzinsen seit 2011 aufbauen mussten, um die Garantieversprechen meist älterer Policen einlösen zu können. Dagegen steht bei den Wachstumschancen wegen der wirtschaftlichen und geopolitischen Krisen ein gewisses Fragezeichen. Das sind die wichtigsten Punkte der Studie "Marktausblick zur Lebensversicherung 2022" der Ratingagentur Assekurata.

Konkret geht Assekurata davon aus, dass sich der für die Abführung zur ZZR relevante Referenzzins (FONDS professionell ONLINE berichtete ausführlich über die Berechnungsmethode) wegen der steigenden Zinsen bei 1,56 Prozent einpendeln wird. Die Folge: Weitere Zuflüsse sind nicht nötig. Wenn die Zinsen allgemein und damit der Referenzzins für die ZZR weiter steigen, werden sich auch die Rückflüsse beschleunigen. "Die zuletzt abrupt gestiegenen Zinsen führen zu einer völlig neuen Situation, da der branchenweite Referenzzins für die ZZR-Zuführungen nicht weiter sinkt", kommentiert Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata.

Steigende Solvenzquoten
Von den steigenden Zinsen profitieren viele Lebensversicherer aber nicht nur aufseiten der ZZR, sondern auch mit Blick auf die Kapitalanforderungen unter der EU-Richtlinie Solvency II. Die Versicherer müssen ihre Verpflichtungen gegenüber Kunden mit Eigenmitteln absichern. Das machen sie hauptsächlich mit Anleihen, da diese nicht mit Eigenkapital unterlegt werden müssen. Die niedrigen Zinsen hatten bei einigen Gesellschaften relativ niedrige Solvenzquoten zur Folge. "In der jetzigen Situation tritt jedoch der gegenläufige Effekt ein: Die Solvenzquoten sind bereits 2021 deutlich angestiegen und werden ihren Positivtrend auch 2022 fortsetzen", prognostiziert Heermann. "Unter dem Strich führt der Zinsanstieg dazu, dass sich unser Rating-Augenmerk bei Lebensversicherern wieder stärker von Solvency II nach HGB verlagert, wo der Einfluss von steigenden Zinsen auch belastend wirken kann."

Dies liegt Assekurata zufolge daran, dass die Lebensversicherer noch etwa 77 Prozent ihrer Kapitalanlagen in festverzinslichen Anlagen investiert haben. Um ihre Leistungsverpflichtungen sicherzustellen, haben viele Gesellschaften Zinstitel mit langen Laufzeiten gekauft. "Die konservative Anlagepolitik der Branche führt in Zeiten steigender Zinsen zu stillen Lasten in den Büchern der Lebensversicherer, sprich zu geringeren Marktwerten gegenüber den Buchwerten der Kapitalanlagen", erläutert Heermann. Während Ende 2021 im Gesamtmarkt die Bewertungsreserven noch bei etwa 15 Prozent der Buchwerte beziehungsweise 150 Milliarden Euro lagen, geht Assekurata aktuell davon aus, dass auf Branchenebene insgesamt bereits stille Lasten in Höhe von 40 Milliarden Euro entstanden sind.

Sinkende Prämien
Die steigenden Zinsen können in Verbindung mit negativen Konjunkturaussichten und der Inflation auch zu einem Nachfragerückgang nach Lebensversicherungen führen. "Die hohe Inflation schränkt die Sparmöglichkeiten vieler Bürger ein und zehrt an der Realverzinsung der Policen", kommentiert Assekurata-Geschäftsführer Reiner Will. "Zugleich könnten konkurrierende Bankprodukte bei weiter steigenden Zinsen wieder attraktiver werden, wobei sich dieser Effekt typischerweise erst zeitversetzt einstellt, wenn die Banken die höheren Zinsen auch tatsächlich an ihre Kunden weitergeben." Für das Jahr 2022 rechnet Assekurata mit einem moderaten Rückgang des Prämienbestandes in der Lebensversicherung von einem Prozent, nachdem die Branche schon 2021 ein Minus von 1,7 Prozent zu verzeichnen hatte. (jb)