Um 2,3 Prozent pro Jahr sind die Beiträge in der PKV-Vollversicherung im Durchschnitt der letzten zehn Jahre gestiegen, berichtet der PKV-Verband. Doch in der Spitze sind durchaus auch 25 bis 35 Prozent üblich, wenn bestimmte Schwellenwerte bei den Leistungsausgaben überschritten werden (ab zehn Prozent mehr gegenüber der Kalkulation) oder die Sterblichkeit statistisch weiter gesunken ist (über fünf Prozent gegenüber der verwendeten Sterbetafel). Beide Faktoren lösen Beitragssprünge aus.

Dies führt immer wieder zu Unmut unter Kunden, die dann die Beitragsanpassung mitunter nicht akzeptieren wollen. Der IV. Zivilsenat des BGH hat am 16. Dezember entschieden: Die Axa Krankenversicherung muss die Prämienanpassung begründen und dazu angeben, welche Rechnungsgrundlage (Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeit) der Anlass sind. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er muss auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, angeben – also beispielsweise den Rechnungszins (Az.: IV ZR 314/19).

BGH zementiert im Prinzip die bisherige Intransparenz
In dem Rechtsstreit wehrte sich ein Kunde gegen mehrere Beitragserhöhungen der Axa seit 2014 (gemäß Paragraf 203 Absatz 2 Satz 1 VVG). Der BGH lehnte die Beitragserhöhungen bis Ende 2017 ab, weil sie nicht ausreichend begründet waren. Da in einem der strittigen Tarife später eine ausreichend begründete Prämienanpassung vorgenommen und der Beitrag damit laut BGH "ab diesem Zeitpunkt wirksam neu festgesetzt worden war", ist die Beitragsanpassung ab 2018 rechtens gewesen.

Fehlende Angaben zu den Gründen der Prämienanpassung können vom Versicherer nachgeholt werden. Rückwirkend für die Zeit davor – hier: 2014 bis 2017 – war die Prämienanpassung aber nicht rechtens. Der Versicherer muss zu viel gezahlte Beiträge erstatten. Rechtsanwalt Knut Pilz, der den Axa-Kunden vertreten hatte, rechnet wegen standardisierter, inhaltsgleicher Begleitschreiben an die Kunden zu den früheren Beitragsanpassungen mit zahlreichen Rückforderungen – auch bei anderen Versicherern.

Bund der Versicherten äußert sich skeptisch
Die Axa sieht das anders. Man habe Prämienanpassungen in Kundenschreiben seit 2017 begründet und somit eine wirksame Beitragsanpassung. Axa kalkuliere die Beitragsanpassungen sorgfältig und korrekt gemäß den klar definierten gesetzlichen Anforderungen und rechne deshalb nicht mit einer Welle von Rückzahlungen.

Der Bund der Versicherten (BdV) sieht die Chance auf massenhafte Rückzahlungen auch skeptisch, da die Beitragsanpassung als solche nicht in Frage steht. Zwar könnten Versicherte die Erhöhungsbeträge zunächst zurückfordern, wenn die Gründe für die Anpassung unvollständig mitgeteilt worden waren. Im Gegenzug werden dann aber die zukünftigen Beiträge besonders stark steigen. "Für die meisten läuft es bestenfalls auf ein Nullsummenspiel heraus", sagt BdV-Vorstandssprecher Axel Kleinlein.

Nicht zu Rückzahlungsklagen überreden lassen
Er warnt vor dubiosen Angeboten von Rechtsanwälten, die damit werben, hohe Rückzahlungen zu erstreiten. "Die jetzt zurückgeforderten Beitragserhöhungen holt sich der Versicherer zwangsläufig mit den nächsten Beitragsanpassungen zurück, da die Kosten ja feststellbar gestiegen sind", erklärt Kleinlein.

Kritisch sieht der BdV auch die Erläuterungen des BGH, dass Versicherte bei einer Beitragsanpassung nur Anspruch auf sehr wenige Informationen haben. "Der BGH zementiert die Intransparenz diverser privater Krankenversicherer", konstatiert Kleinlein.

Die genaue Höhe dieser veränderten Rechnungsgrundlage oder Einflüsse von weiteren Faktoren müssten die Versicherer auch künftig nicht nennen. Insbesondere eine Änderung des Rechnungszinses darf der Versicherer weiter verschweigen. Nach Ansicht des BdV liegt hier aber einer der Haupttreiber von Beitragssteigerungen.

Branche fordert Reform, aber der Gesetzgeber mauert
Es wäre es an der Zeit, die Kalkulation der PKV grundlegend zu reformieren. So könnten hohe Beitragssprünge verhindert werden, wenn etwa die medizinische Inflation von vornherein einkalkuliert würde. Dann wären die Beiträge zu Vertragsbeginn höher und Preis-Leistungsvergleiche mit der gesetzlichen Krankenversicherung besser nachvollziehbar.

Derartige Reformansätze sieht auch die Branche selbst seit längerem als sinnvoll an, man stößt aber bei der Großen Koalition auf Verweigerung. Die PKV will im Interesse der Verbraucher Beitragssprünge vermeiden und nötige Anpassungen früher als bislang erlaubt vornehmen. Nach geltendem Recht kann es nach Jahren der Stabilität zu umso größeren Beitragssprüngen kommen, wenn die auslösenden Faktoren "anschlagen". Mit anderen Worten: Unterhalb der Zehn- respektive Fünf-Prozent-Steigerung darf der Beitrag gar nicht erhöht werden, später dann aber mit Nachholeffekten um so stärker steigen.

Lieber schnellere, kleinere Beitragsanpassungen
Der Reformvorschlag der PKV wird auch von Verbraucherschützern unterstützt, die lieber mehrere kleine Erhöhungen wünschen als große Erhöhungen alle paar Jahre. Aufgeschlossen ist die PKV-Branche zudem für die Idee, neben den Leistungsausgaben und der Sterblichkeit auch den Zins als auslösenden Faktor für Beitragsanpassungen zuzulassen. Damit ließen sich schneller kleinere Beitragsanpassungen durchsetzen, was für Kunden auch psychologisch günstiger sei.

Vor zwei Jahren hatte der BGH die Praxis für rechtens erklärt, wonach Treuhänder die Rechtmäßigkeit von Beitragserhöhungen in der PKV unabhängig zu prüfen haben. Deren eigene Unabhängigkeit sei zivilrechtlich nicht überprüfbar (Az.: IV ZR 255/17). (dpo)