Die Ende Mai von der EU-Kommission vorgelegte "Retail Investment Strategy" (RIS), die zu Deutsch als "Kleinanlegerstrategie" bezeichnet wird, befindet sich noch immer in den Beratungen von Europäischem Parlament und EU-Rat. "Es besteht die Absicht, eine grundsätzliche politische Einigung noch bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 zu erzielen", hatte Bernhard Gause, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbandes Deutscher Versicherungsmakler (BDVM), vor knapp zwei Monaten gesagt.

Nach der Erarbeitung und Verhandlung technischer Details könnte das Gesetzespaket dann zum Jahreswechsel 2024/2025 verabschiedet werden. "Dazu müsste die Richtlinie bis April 2024 beschlossen sein", so der mit Regulierungsfragen seit vielen Jahren befasste BDVM-Chef. Inzwischen ist hinter den Kulissen einiges passiert, was am Zeitplan zweifeln lässt. Insbesondere das partielle Provisionsverbot bei "unabhängiger Beratung" im Richtlinienentwurf habe eine breite Diskussion verursacht, auch unter Vermittlerverbänden. Einerseits wird darin ein europarechtswidriges Provisionsverbot für Makler mit Verweis auf seinen Status als "unabhängig" gesehen (AfW). Andererseits wird die Vorschrift – jeweils wissenschaftlich untermauert – so interpretiert, dass bei der Beratung lediglich darauf hingewiesen werden muss, dass die Beratung auf Provisionsbasis und daher nicht "unabhängig" erfolgt (BVK).

Begriffsverwirrung bei Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten
"Es bleibt wenig glücklich, dass der persönlich unabhängige Makler die Beratung in einem speziellen Teilsegment der Versicherungsanlageprodukte als 'abhängig' bezeichnen muss, denn Transparenz über das Vermittlungsentgelt hätte völlig ausgereicht", kritisiert Gause. Dadurch spiele der Richtlinienentwurf mit der Unabhängigkeit von Versicherungsmaklern und schaffe unnötige Verwirrung bei Verbrauchern. Auch der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) würde "die verquasten EU-Regelungspläne am liebsten abschaffen", sagte BVK-Präsident Michael H. Heinz kürzlich im Interview mit FONDS professionell ONLINE.

Der BVK hatte im Oktober entsprechende Änderungsanträge in den EU-Ministerrat eingebracht. "Wir brauchen eine rechtssichere Formulierung der Regeln", beharrt Heinz. Große Hoffnung setzt der Verband auf ein am 9. November veröffentlichtes Papier des zuständigen EU-Parlamentsausschusses für Wirtschaft und Währung (Econ), das sich klar gegen ein partielles Provisionsverbot ausspricht.

Bärendienst durch Gutachten?
Zur Verwirrung hat aber auch ein Gutachten von Universitätsprofessor Christoph Brömmelmeyer (Europa-Universität Viadrina) beigetragen, das der BVK selbst in Auftrag gegeben und am 14. September veröffentlicht hatte (externer Link). Einzig vorgegebene Frage für den Gutachter: Beinhaltet der RIS-Vorschlag ein Provisionsverbot für Versicherungsmakler? Brömmelmeyers Antwort: Grundsätzlich nicht, aber die Provision für die Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten soll laut RIS-Entwurf entfallen, wenn der Vermittler eine Beratung auf unabhängiger Basis ankündigt. Der Versicherungsmakler müsste künftig also im provisionsbasierten Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten klarstellen, dass er zwar nicht persönlich von einem bestimmten Versicherer abhängig ist, dass die von ihm angebotene Dienstleistung aber nicht "unabhängig" erfolgt, weil er wirtschaftlich gesehen auf Provisionszahlungen angewiesen ist.

Sachwalter-Urteil stützt Begriff Unabhängigkeit nicht
Damit wird quasi einem abhängigen Versicherungsmakler das Wort geredet. Auch das Sachwalter-Urteil des BGH von 1985 habe keine Lanze für die Unabhängigkeit des Maklers gebrochen, sagte der Wissenschaftler kürzlich beim BVK-Pressedialog in Berlin. Das Urteil sei etwas "gestrig". Unabhängig, was Brüssel letztlich in der RIS beschließt, müssten Makler selbst nach dem strittigen Richtlinienentwurf nicht um ihren Status fürchten, aber "sich gegenüber den Kunden von Versicherungsanlageprodukten genauer erklären", so Brömmelmeyer.

"Die Frage der Unabhängigkeit bezieht sich also nicht auf den Status des Maklers im Sinne des Berufsbildes, sondern auf seine Dienstleistung, die über Courtage oder Honorar bezahlt wird", stellte der Wissenschaftler klar. Der Regelungsvorschlag in der RIS solle der Transparenz dienen und werde letztlich Teil der Erstinformation sein. Allerdings könne dies zu Verwirrungen unter Maklern und Verbrauchern führen. Tatsächlich dürfte sich nach Lesart des RIS-Entwurfs vom 24. Mai lediglich diejenige Dienstleistung als unabhängig bezeichnen, die auf Honorarbasis Versicherungsanlageprodukte empfiehlt, ohne dafür eine Provision von einem Versicherer zu erhalten.

Klarstellungen oder Streichung von strittigem RIS-Absatz erhofft
Kein Wunder, dass Vermittlerverbände wie AfW, BDVM und BVK zumindest auf Klarstellungen des strittigen Artikels 30, Absatz 5b, des RIS-Entwurfs beharren. BDVM und AfW würden ihn am liebsten ganz streichen. Professor Matthias Beenken von der Fachhochschule Dortmund schlägt vor, dass Makler vorerst die Definition aus dem VVG verwenden und sämtliche Begriffe wie "unabhängig" und "ungebunden" meiden, bis sich die Verwirrung legt, was künftig "unabhängig" bedeutet. Tatsächlich existiert die RIS bisher nur im Entwurfsstadium. Um sie zu verabschieden, müssen sich in sogenannten Triloggesprächen die EU-Kommission, das Europaparlament und der Ministerrat einigen.

Eine erste Abstimmung des EU-Ministerrats ist für Ende Januar 2024 anberaumt, erinnert der BVK auf dem Presse-Dialog. Der Econ-Ausschuss will erst bis Ende April sein finales Votum vorlegen. Erst wenn alle drei Voten vorliegen, können die Trilogverhandlungen beginnen. "Ob allerdings eine Einigung noch vor der im Juni 2024 stattfindenden Wahl zum Europäischen Parlament erfolgt, vermag zurzeit keiner zu sagen", blickt BVK-Präsident Heinz voraus. (dpo)


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