Eigentlich ist die Sache ja ganz klar: Das Garantieniveau für Neuverträge in der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) muss angesichts der dauerhaften Niedrigzinsphase auf ein erträgliches Maß reduziert werden. Die versicherungsförmige bAV steuert zwar mit innovativen Garantien und mehr kapitalmarktnahen Produkten dagegen, muss aber weiter mit einer 100-Prozent- Bruttobeitragsgarantie bei der Beitragszusage mit Mindestleistungen (BZML) leben.

Das Problem: Vor allem die tariflich organisierte Versicherer-bAV, bei der die BZML meist vorgeschrieben ist, gilt damit als gefährdet. Denn: BZML-Anbieter sind in der Vorgabe des Betriebsrentengesetzes gefangen, wonach sie "mindestens die Summe der zugesagten Beiträge garantieren müssen", heißt es im Gesetz (Paragraf 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG). Ausweg: Bei der beitragsorientierten Leistungszusage (BoLZ) sind geringere Garantien und damit weiterhin attraktive Renditen möglich.

Gesetzgeber sollte rasch weniger Garantien bei BZML erlauben
Was tun? Professor Jochen Ruß, Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften (Ifa), und seine Kollegen haben in mehreren Studien auf Basis eines Simulationsmodells nachgewiesen, dass ein marktübliches dynamisches Hybridprodukt mit einer Garantie von 60 bis 80 Prozent der Beiträge der Ausweg sein kann.

Eine gesetzliche Regelung für angemessene Garantiehöhen bei der BoLZ gibt es aber nicht. "Die bisherige Rechtslage aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts lässt solche Garantieniveaus zu", sagt Guido Bader, Vorstand der Deutschen Aktuarvereinigung. Die Zeit drängt: "Bei vollständigem Beitragserhalt werden Investments in wertstabile Anlagen verhindert", sagt Stefan Oecking, Vize-Vorstandschef des Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung.

Was ein Opt-out in Großbritannien gebracht hat
Die international tätige Unternehmensberatungsgesellschaft Aon hat in acht mit Deutschland vergleichbaren Ländern bAV-Modelle für die Zukunft untersucht. Auf die wichtigsten Aspekte wies Thorsten Teichmann, neuer Aon-Co-CEO, kürzlich auf einer Fachtagung hin. Zur Regel-Teilnahme per sogenanntem "Opt-out" zeige Großbritannien, wie es geht. Der Clou ist die Widerspruchslösung: Arbeitnehmer, die nicht in das betriebliche Vorsorgemodell einzahlen wollen, müssen das klar zum Ausdruck bringen. Ansonsten sind sie automatisch mit von der Partie. Ergebnis: 91 Prozent der britischen Arbeitnehmer haben bei der bAV zugegriffen. "Unkomplizierte Teilnahmeoptionen und einfache Standardlösungen machen es möglich", so Teichmann.

Bei Portabilität und Flexibilität seien die Schweiz, Niederlande und die USA auf dem richtigen Weg. Wie sich Strukturen verschlanken lassen, machten Großbritannien, Niederlande und die Schweiz vor. Beim Abschied von Garantien "hinkt Deutschland hinterher", so Teichmann. Ähnlich problematisch bei Struktur und Zukunftsorientierung wie in Deutschland ist die Lage laut Aon in Belgien, Österreich, Italien und Frankreich.

Ausland: Weniger Garantien, aber mehr Wahlmöglichkeiten
Auf Niedrigzinsphasen und Demografie haben andere Länder schneller reagiert, beispielsweise mit Wegfall von Zinsgarantien. Im Gegenzug werden zum Beispiel in Großbritannien, Frankreich und den USA Arbeitnehmern vielfältige Wahlmöglichkeiten der Geldanlage geboten, die dem jeweiligen Sicherheitsbedürfnis respektive dem Wunsch nach höheren Renditen Rechnung tragen. "Mehr Flexibilität erweist sich generell als teilnahmefördernd, sowohl bei den Auszahlungsformen als auch bei Beitragshöhen, die individuellen Lebensphasen angepasst werden können", heißt es in der Aon-Studie.

Kritik wird von Aon auch an den Besitzstandsregeln hierzulande geäußert, die junge Arbeitnehmer benachteiligten. Ähnliches finde man woanders selten, so die Studie. In den Niederlanden etwa sind für künftige Arbeitszeiten ab 2026 nur noch Vorsorgelösungen zulässig, bei denen der Arbeitgeber die Beiträge und nicht mehr die Leistungen garantiert. In Deutschland hingegen könnten einmal getroffene Regelungen auch für künftige Erwerbsphasen kaum noch geändert werden. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass der Wegfall von Garantien in vielen Fällen Vorteile für die Arbeitnehmer bringt. "Die nächste Bundesregierung sollte den politischen Mut aufbringen, Veränderungen auf den Weg zu bringen, auch wenn sie auf den ersten Blick unpopulär erscheinen", empfiehlt Teichmann.

Vielerorts mehr Kapitaldeckung als in Deutschland
Den internationalen Vergleich stellt auch eine Studie des Consultants Mercer an. Demnach belegt Deutschland unter 43 Altersvorsorgesystemen weltweit den 14. Rang. Island, die Niederlande und Dänemark schnitten am besten ab. Auch Israel, Australien, die skandinavischen Länder, Großbritannien und Singapur, die Schweiz, Irland und Kanada seien besser als Deutschland. Die Studie analysiert die Rentensysteme von Ländern, in denen zwei Drittel der Weltbevölkerung leben. Der so ermittelte Index misst Angemessenheit, Nachhaltigkeit und Integrität der Systeme und zeigt Mängel und Verbesserungsmöglichkeiten auf.

Deutschland etwa könne zu nachhaltigeren Altersversorgungsleistungen kommen, wenn die gesetzliche Rente über ein Kapitaldeckungsverfahren ergänzt würde. Davon sind die Programme der derzeitigen Koalitionsanwärter aber weit entfernt. Einzig die FDP plädiert für eine "Aktienrente" als Teil der gesetzlichen Rentenversicherung. (dpo)