Geht es um die Absicherung der Arbeitskraft, ist die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) die Königsdisziplin. Sie greift unabhängig von der Art der Krankheit, wenn der Kunde den vertraglich vereinbarten BU-Grad von meist 50 Prozent in seinem ausgeübten Beruf erreicht. Doch aktuell erschöpfen sich die Anstrengungen der Versicherer vermeintlich auf immer neue Prämiensenkungen und das "Erfinden" neuer Berufsbilder, hat das Kölner Institut für Finanzmarkt-Analyse (Infinma) in seiner Vorjahres-Untersuchung der Marktstandards in der BU-Versicherung kommentiert.

Leidtragende sind diejenigen Berufsgruppen, die als besonders riskant und damit teuer oder nur unter Vorbehalt eingestuft und damit versicherbar sind, insbesondere Handwerker, Pflegekräfte und andere vorwiegend körperlich Tätige, aber auch Künstler. Immer mehr Deutsche müssen zur Arbeitskraftabsicherung auf andere Produkte ausweichen. Diese decken jedoch nicht das volle Ausfallrisiko, sondern sind lediglich Ausschnittdeckungen.

Letzte Auffanglinie für als riskant eingestufte Berufsgruppen
Die Erwerbsunfähigkeitsversicherung (EU) ist für diese Berufsgruppen oft die letzte Auffanglinie. Die Anspruchsgrundlagen sind aber deutlich geringer als bei der BU. Denn die EU leistet nur in den Fällen, bei denen die versicherte Person infolge ärztlich nachgewiesener Krankheit, Körperverletzung oder (mehr als altersentsprechendem) Kräfteverfall außerstande ist, überhaupt noch irgendeine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens drei Stunden täglich auszuüben. Das ist nicht viel, doch sie leistet auch bei psychischen Erkrankungen.

Knapp 20 Unternehmen hatten 2021 EU-Policen im Angebot. Aktuell scheint die Zahl weiter geschrumpft. Im Rahmen der Untersuchung "Marktstandards in der EU – Stand 04/2024" wurden von Infinma lediglich noch von 13 Gesellschaften insgesamt 40 Tarife analysiert und in 17 Qualitätskriterien gegen den Marktstandard verglichen. Berücksichtigt wurden Produkte, die in Deutschland beziehungsweise in Österreich angeboten werden.

Nur 13 Tarife von vier Anbietern überzeugen
Ergebnis: Nur 13 Tarife von den vier Versicherern Continentale, Europa, Volkswohl Bund und Zurich konnten den Marktstandard in allen getesteten Kriterien aus Kundensicht mindestens erfüllen oder sogar übertreffen. Infinma erhebt dazu alle zu einem Qualitätskriterium am Markt tatsächlich vorhandenen konkreten Ausprägungen in den Bedingungswerken. Diejenige Ausprägung, die von den Anbietern in ihren Produkten am häufigsten verwendet wird, wird als Marktstandard im Sinne eines Branchendurchschnittswertes definiert. "Die Qualitätskriterien werden weder gewichtet noch aggregiert; es handelt sich damit gerade nicht um ein Rating", erklärt Infinma-Geschäftsführer Jörg Schulz.

Insgesamt sehen die Analysten eine gewisse vertriebliche Zurückhaltung bei der EU-Versicherung. Möglicherweise glaubten die Anbieter selbst nicht oder nicht mehr an einen durchschlagenden Erfolg dieser Absicherungsmöglichkeit. Aktuell scheinen sich die Versicherer eher auf die Grundfähigkeitsversicherung als Portfolioergänzung zur BU zu fokussieren. "Selbst für überwiegend körperlich Tätige kann sich die EU nicht wirklich als Alternative zur BU durchsetzen", hat Infinma-Geschäftsführer Marc Glissmann beobachtet. Schon allein die verbale Nähe zur gesetzlichen Erwerbsminderungsrente dürfte mögliche Kunden abschrecken.

Inhaltliche Fortschritte bei EU-Absicherung
Dennoch vermerkt das Analysehaus weitere inhaltliche Fortschritte bei der EU-Absicherung. "Die BU-Umtauschoption für EU-Versicherte ist jetzt zum Marktstandard geworden“, so Schulz. Auch der Verzicht auf die Meldepflicht bei Verbesserung des Gesundheitszustandes sei nun ebenso zum Standard geworden wie die Regelung, dass jetzt schon zwei von sechs Pflegepunkten ausreichen, damit Erwerbsunfähigkeit anerkannt wird. "Insgesamt hat sich das Niveau der Bedingungen weiter verbessert", sagt Schulz. Dennoch könne sich die EU weiterhin nicht als Alternative zur BU durchsetzen. Ein Grund: In vielen Berufen, vor allem ohne größere körperliche Belastungen, blieben die Beitragsunterschiede zur BU-Absicherung einfach zu gering, und so präferierten Kunden günstiger Berufsgruppen völlig zu Recht eine BU-Police.  

Diese für eine EU-Versicherung besonders wichtigen Kriterien aus den Bedingungen wurden analysiert:

  1. Prognosezeitraum
  2. Rückwirkende Leistung
  3. Spezifikation der Erwerbstätigkeit
  4. Arbeitsumfang
  5. EU aufgrund von Pflegebedürftigkeit
  6. Meldefristen
  7. Beitragsstundung
  8. Zeitlich befristetes Anerkenntnis
  9. Kostenübernahme bei Auslandsaufenthalt
  10. Geltungsbereich
  11. Mitwirkungspflichten Gesundheit
  12. Einmalzahlungen
  13. Nachversicherung ohne Anlass
  14. Überbrückung von Zahlungsschwierigkeiten
  15. Umtausch-Option in BU
  16. Verlängerungsoption
  17. Gesetzliche EM-Rente gilt als EU

Chancen und Risiken beim Marktstandard-Modell
Das Marktstandard-Modell ist nicht unumstritten, weil unklar bleibt, ob es sich bei den Marktstandards um eine für den Versicherten günstige Formulierung handelt. "Wir treffen an keiner Stelle Aussagen über die mit den Marktstandards verbundene Qualität der jeweiligen Regelungen", hatte Schulz schon vor längerer Zeit erklärt.

Etwaige ungünstige Formulierungen könne jeder Makler anhand der Veröffentlichungen auf der Infinma-Homepage sehr leicht erkennen und dann selbst im Sinne des Kunden entscheiden. Generell seien Makler jedoch von der Methodik angetan, weil sie kurz und bündig wichtige Informationen über die am Markt üblichen und verbreiteten Regelungen in den EU-Bedingungen liefert. (dpo)


Die Methodik der EU-Marktstandards (externer Link) ist auf der Infinma-Website seit 26. April ebenso veröffentlicht wie eine Übersicht der vier Versicherer und 13 zertifizierten EU-Tarife (externer Link), die mindestens den Marktstandard erreicht haben.