Der deutsche Markt für Grundfähigkeitspolicen ist noch jung, boomt aber, weil die leistungsstärkeren Berufsunfähigkeitspolicen für viele als riskant eingestufte Berufe zu teuer geworden sind. Im Vorjahr hatte das Analysehaus Franke & Bornberg (F&B) im Rating bei den versicherten Grundfähigkeiten einen "kreativen Wildwuchs" beobachtet. "Für die sachgerechte Bewertung von Grundfähigkeiten sind Mindeststandards unverzichtbar", weiß Christian Monke, Leiter Analyse bei F&B. Daher haben die Analysten ein eigenes Grundfähigkeiten-Raster entwickelt, mit 15 wesentlichen Grundfähigkeiten.

Im Rating 2021 hatten bei F&B gut 40 Prozent der klassischen Tarife und rund 30 Prozent der "Plus"-Tarife die Höchstnote bekommen. Die Plus-Varianten heben sich dadurch ab, dass Zusatzbausteine wie schwere oder psychische Krankheiten als Leistungsauslöser mitversichert sind. (Die genaue Rating-Methodik kann hier (externer Link) eingesehen werden. Eine aktualisierte Auflistung der untersuchten Tarife gibt es hier (externer Link).)

Erstes Rating 2022 liegt vor 
Nun hat das Analysehaus Morgen & Morgen (M&M) ein Rating von Grundfähigkeitspolicen vorgelegt und dabei ebenfalls nur 15 Grundfähigkeiten als relevante Leistungsauslöser einbezogen. Allerdings wurden gleich 92 der 112 untersuchten Tarife mit der Höchstnote bewertet. Andreas Ludwig, Bereichsleiter Analyse & Ratings, führt diese Häufung einerseits darauf zurück, dass sich die Zahl der angebotenen Tarife in den letzten beiden Jahren mehr als verdoppelt hat (2020: 53). Andererseits "ist ein sehr modulares Wachstum auf hohem Bedingungsniveau zu erkennen", so Ludwig.

Soll heißen: Die Tarife sind als Baukastensystem individuell zusammenstellbar und enthalten mitunter auch eine Arbeitsunfähigkeitsklausel, die den jeweiligen Tarif stark in Richtung einer temporären Berufsunfähigkeitsversicherung treibt – und damit den Preis in die Höhe. Ludwig sieht die Entwicklung kritisch: "Der Wettbewerb findet hauptsächlich in der zunehmenden Ausdifferenzierung der Leistungsauslöser statt, was langfristig zu einem höheren Preisniveau führen und die preisliche Attraktivität für körperlich tätige Berufe gefährden könnte."

Zunehmende Zahl von Leistungsauslösern mindert Transparenz
Noch funktioniere die Unterscheidung auch nach dem Preis. M&M macht dies am Beispiel einer 30-jährigen Dachdeckerin deutlich, die 1.000 Euro Monatsrente bis zum Alter von 67 absichern will und dafür ein Angebot mit den besten AVB-Bedingungen nach M&M-Rating wählt.

Ergebnis: Während für das Angebot mit dem günstigsten Preis-Leistungsverhältnis 160,07 Euro monatlich in der Berufsunfähigkeitsversicherung zu zahlen sind, kostet eine Erwerbsunfähigkeitspolice als alternative Absicherungsform nur 56,30 Euro und eine Grundfähigkeitsversicherung lediglich 47,16 Euro. (Die genaue Rating-Methodik kann hier (externer Link) eingesehen werden. Eine Auflistung der untersuchten Tarife gibt es hier (externer Link).)

Marktstandards wichtiger als immer neue Tarifkombinationen
Die Kritik an fehlenden Marktstandards teilt auch die Ratingagentur Assekurata: "Noch immer hat sich bei den Bedingungen kein Marktstandard etabliert, so dass der Leistungsumfang der Tarife auf den ersten Blick nur schwer vergleichbar ist." Bislang dienten die Definitionen in den AVB vornehmlich zur Diversifizierung der Produkte im Anbieterwettbewerb, ohne einen versicherungstechnischen Mehrwert zu stiften.

Es gibt aber Hoffnung: "Einzelne Anbieter sind aber auf dem Weg zu neuen, klaren Leistungsvoraussetzungen", hat Assekurata-Analyst Arndt von Eicken beobachtet. Als Beispiele nennt er die Dortmunder, Nürnberger und Allianz. Assekurata untersucht Grundfähigkeitspolicen anhand von über 50 Detailkriterien, die zehn Hauptkriterien zugeordnet werden.

Institut verschiebt Analyse
Langfristig beschäftigt sich auch das Institut für Finanz-Markt-Analyse (Infinma) mit Marktstandards im Bereich der Personenversicherung. Seine neueste Analyse zu Marktstandards in der Grundfähigkeitsversicherung hat das Institut um ein halbes Jahr auf den Spätsommer verschoben, weil aktuell eine stark wachsende Zahl von Anbietern, Produkten und Produktvarianten beobachtet wird, und zudem in den nächsten Wochen weitere Anbieter auf den Markt drängen. Eine Analyse aller möglichen Kombinationen am Marktstandard hält Infinma nicht für zielführend und will daher mit den Versicherern das Gespräch suchen.

Aktuell sind nur 43 Tarife von sieben Versicherern mit einem Marktstandard-Zertifikat ausgestattet (externer Link). Dabei wird kein Rating vergeben, sondern es werden einzig die Bedingungen nach 17 Kriterien untersucht. Die einzelnen Bedingungswerke werden daran  gemessen, was aktuell am Markt üblich ist (externer Link). (dpo)