Seit mittlerweile 25 Jahren führt Klaus Stiefermann die Geschäfte der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (Aba). FONDS professionell ONLINE traf ihn im Berliner Büro des Verbandes in der Wilhelmstraße zum Gespräch.


Herr Stiefermann, waren die Rentenreformen der letzten Jahre halbherzig?

Klaus Stiefermann: Ja, teilweise waren sie geprägt vom Prinzip "Zwei Schritte vor und einen, manchmal auch drei Schritte zurück". Das verunsichert alle, deren Altersversorgung maßgeblich von der gesetzlichen Rente bestimmt wird. Es befeuert auch die trügerische Hoffnung, dass die gesetzliche Rente wieder lebensstandardsichernd werden könnte und verhindert so die notwendige Flankierung durch betriebliche und private Vorsorge. So kann gut gemeinte Rentenpolitik sogar Altersarmut befördern. Der Gesetzgeber hat mit guten Gründen die schrittweise Anhebung des Rentenalters auf 67 eingeführt, doch seitdem rückt die Politik schrittweise davon ab und macht immer mehr abschlagsfreie Frühverrentungen möglich und betreibt kurzfristige Klientelpolitik, etwa mit der Mütterrente. Und dann werden noch Bürokratiemonster wie die Grundrente mit knapp 20 Prozent Verwaltungskostenanteil geschaffen, während bei der gesetzlichen Rente ansonsten weniger als 1,5 Prozent anfallen.

Bleibt es aus Ihrer Sicht bei einer Rentenpolitik nach Kassenlage?

Stiefermann: Offensichtlich. Eine verlässliche Rentenpolitik setzt voraus, dass finanzielle Zusagen eingehalten werden und nicht nach Kassenlage oder für andere politische Vorhaben wieder gestrichen werden. Über die letzten Jahre hat der Bund zugesagte Zahlungen an die gesetzliche Rentenversicherung in Höhe von sieben Milliarden Euro nicht gezahlt, ein 2021 wegen des Grundrentenzuschlags um 1,4 Milliarden Euro erhöhter Bundeszuschuss wird 2024 nur noch zu knapp 20 Prozent realisiert. Begründet wurde das mit der guten Kassenlage bei der gesetzlichen Rentenversicherung. Wenn man sich aber nicht auf Zusagen des Bundes verlassen kann, warum soll man dann glauben, dass Töpfe wie das geplante Generationenkapital planmäßig aufgefüllt und nicht bei Haushaltsproblemen geplündert werden?

Die Bundesregierung will das Absenken des Rentenniveaus um jeden Preis verhindern, doch ein sinkendes Rentenniveau bedeutet ja nicht zwingend sinkende Renten, oder doch?

Stiefermann: Richtig. Ein sinkendes Rentenniveau bedeutet nicht, dass Renten gekürzt werden, sie steigen "nur" weniger stark an als die Löhne. Trotzdem wird auch künftig ihr Abstand zur Grundsicherung größer, weil sie stärker als diese steigen. Das Rentenniveau ist lediglich ein statistischer Wert, der das Verhältnis einer gesetzlichen Standardrente nach 45 Jahren Beitragszahlung auf Basis eines durchschnittlichen Einkommens zum aktuellen durchschnittlichen Einkommen angibt, und zwar netto vor Steuern. Über die tatsächliche individuelle Rentenhöhe sagt das Rentenniveau nichts aus.
 

"Mit den Haltelinien versucht man nur Zeit zu gewinnen, anstatt sich wirklich ehrlich zu machen in Sachen Altersversorgung"


Warum ist die Haltelinien-Politik kontraproduktiv für das Mehrsäulenmodell?

Stiefermann: Auf den ersten Blick ist es schon genial: Die doppelte Haltelinie begrenzt den Anstieg der Rentenbeiträge und gleichzeitig das relative Niveau zwischen Renten und Löhnen. Beitragszahler und Rentner sind fein raus. Das Dumme ist nur, dass die Ursachen für die rentenpolitischen Herausforderungen so nicht verschwinden. Demografie und ökonomische Grundlagen lösen sich ja nicht in Luft auf. Jetzt kann man natürlich hoffen, dass über den Bundeszuschuss und damit aus Steuermitteln die nötigen stabilisierenden Beträge kommen, wenn sie gebraucht werden. Aber die Rentenkasse kann sich schon heute nicht auf die Finanzierungszusagen aus der Politik verlassen. Mit den Haltelinien versucht man nur Zeit zu gewinnen, anstatt sich wirklich ehrlich zu machen in Sachen Altersversorgung. Das ist eine gefährliche Realitätsflucht, die den Arbeitnehmern zudem die dringend notwendige Zeit und Motivation nimmt, um ergänzend kapitalgedeckt vorzusorgen.

Es scheint, dass weiter zu sehr in Vier-Jahres-Rhythmen gedacht und politisch gehandelt wird. Bleibt da nicht die nötige strategische Position zur Demografie für Altersvorsorge-Reformen auf der Strecke?

Stiefermann: Ich fürchte: ja. Altersversorgung braucht Sicherheit und längere Planungshorizonte. Die Menschen müssen wissen, was bei der gesetzlichen Rente zu erwarten ist, um zu erkennen, in welchem Umfang sie betrieblich oder privat vorsorgen müssen. Bei der Kapitaldeckung ist der Faktor Zeit nämlich ganz entscheidend.

Als Mitglied des Steuerungsgremiums der Zentralen Stelle für die Digitale Rentenübersicht (ZfDR) wissen Sie vielleicht, wann Pensionskassen, Pensionsfonds und Direktversicherungen verpflichtend bei der digitalen Rentenübersicht angebunden werden müssen?

Stiefermann: Ende Januar wurde die Rentenübersichtsanbindungsverordnung – auch so ein typisch deutsches Wortungetüm – verabschiedet. Sie legt den Zeitplan für die noch ausstehenden Anbindungsverfahren an die ZfDR verbindlich fest. Verpflichtet sind Vorsorgeeinrichtungen mit mehr als 1.000 Altersvorsorgeansprüchen, die sich noch nicht in der Auszahlungsphase befinden. Die betroffenen Einrichtungen müssen sich bis zum 31. März 2024 bei der ZfDR anmelden. Bis zum 30. September sind die technischen Schnittstellen einzurichten und anschließend zu testen. Ab 31. Dezember muss dann die Datenlieferfähigkeit gegeben sein. Das ist ein straffer Zeitplan, und wir hoffen, dass möglichst bald gut funktionierende automatisierte Testmöglichkeiten bereitstehen.
 

"Die steuerliche Diskriminierung von Pensionsverpflichtungen aus Direktzusagen muss beendet werden"


Um mehr bAV-Verbreitung zu schaffen, wird seit längerem auch ein Opting-out diskutiert. Was halten Sie davon?

Stiefermann: Solche Modelle wurden nicht nur diskutiert, sie werden auch seit langem praktiziert. Dies geschah im einzelnen Arbeitsvertrag oder auch per Betriebsvereinbarung. Weil das, jedenfalls für tarifgebundene Arbeitnehmer, nicht unumstritten war, hat der Gesetzgeber im Betriebsrentenstärkungsgesetz eine Regelung aufgenommen, die festlegt, dass es ohne Tarifvertrag nicht geht, und welche Qualitätsmerkmale eingehalten werden müssen. Gleichzeitig können jetzt über einen Tarifvertrag sogar "Bestandsbeschäftigte" rechtssicher in solche Modelle aufgenommen werden. Opting-out-Modelle beziehungsweise Optionsmodelle sind ein guter Weg, die bAV in die Breite zu bringen. Erfahrungen aus dem Ausland zeigen: Die Zahl derer, die dann herausoptieren, ist gering. Man erreicht Teilnahmequoten, die auf rein freiwilliger Basis nicht erreicht werden können. Arbeitgeber haben aber ein Interesse daran, dass solche Modelle wasserdicht sind und nicht später Barlohn nachgefordert werden kann. Arbeitnehmer haben ein Interesse an bestimmten Qualitätskriterien solcher Regelungen, und die gibt der Gesetzgeber jetzt vor.

Benachteiligt sind aktuell Pensionszusagen, über den Paragrafen 6a Einkommensteuergesetz. Rechnen Sie dort mit einem Einlenken des Bundesfinanzministeriums?

Stiefermann: Leider nicht, zumal die derzeitige Haushaltslage die Sache erschwert. Doch die aktuelle steuerliche Diskriminierung von Pensionsverpflichtungen aus Direktzusagen muss beendet werden. Hintergrund: Das Einkommensteuerrecht, das Handelsrecht und die internationalen Rechnungslegungsstandards IFRS verpflichten Firmen, Rückstellungen für Pensionsverpflichtungen zu bilden. Die in der Zukunft liegenden Verpflichtungen sind dabei abzuzinsen und mit der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts zu gewichten. Während der Rechnungszins nach IFRS den jeweils aktuellen Marktzins zum Bilanzstichtag zugrunde legt, ist im Handelsrecht der Durchschnittszins der letzten zehn beziehungsweise sieben Jahre maßgeblich und im Steuerrecht ein – vom Kapitalmarkt gänzlich abgekoppelter – fixer Zins von sechs Prozent zugrunde zu legen. Folge dieser Inkongruenz: Pensionsverpflichtungen müssen in der Steuerbilanz weiter mit diesem unrealistisch hohen Wert abgezinst werden, der zuletzt 1984 für Staatsanleihen angemessen war. Dies hat bislang zur Folge, dass Steuern auf Gewinne gezahlt werden, die wirtschaftlich gar nicht entstanden sind oder eigentlich zur Ausfinanzierung der Pensionsverpflichtungen verwendet werden müssten. Ein realistischerer Zins sollte sich eng am handelsrechtlichen Zins orientieren. Beide sollten Festzinsen sein und deutlich unter sechs Prozent liegen.
 

"Wer die bAV ausweiten will, sollte ihr eine eigenständige Regulierung gewähren"


Die bAV als primär freiwillige Sozialleistung der Arbeitgeber muss auch bezahlbar bleiben. Da sind viele kleinteilige Regulierungsanforderungen Gift. Was muss sich in diesem Punkt ändern?

Stiefermann: Regulatorische Anforderungen dienen dazu, die Stabilität und Sicherheit der beaufsichtigten Einrichtungen zu gewährleisten und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Altersversorgung und den Finanzsektor zu stärken. Das ist wichtig und grundsätzlich unterstützenswert. Problematisch wird es dort, wo jedes Maß verloren geht und nicht vergleichbare Bereiche über einen regulatorischen Kamm geschoren werden. Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) unterscheiden sich grundlegend von Lebensversicherern und sind insbesondere keine Finanzdienstleister. Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden auf europäischer und nationaler Ebene ignorieren den Geschäftszweck einer EbAV, das Dreiecksverhältnis von Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Versorgungseinrichtung, in dem die EbAV agiert, die Rolle der Sozialpartner bei der bAV und die Rolle der EbAV auf dem Finanzmarkt. So entsteht eine Regulierung, die überhaupt nicht oder nur mit unvertretbarem Kosten-Nutzen-Verhältnis für die Begünstigten umgesetzt werden kann. Wer eine Vielfalt von Versorgungseinrichtungen will, muss zudem ein gewisses Maß an Proportionalität berücksichtigen. An einigen Stellen haben Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden jedes Augenmaß verloren. So schafft man nicht mehr Sicherheit, so schafft man auf Dauer Altersversorgungseinrichtungen ab.

Viele Regulierungsvorhaben klingen was vom Namen her eher harmlos, ja teilweise auch niedlich: Dora, Vait oder Fida…

Stiefermann: … sie haben es aber in sich: Der Digital Organizational Resilience Act (Dora) will künftig für alle Finanzdienstleister die Anforderungen an Cybersicherheit hochschrauben und dabei auch undifferenziert EbAV einbeziehen. Die EbAV-II-Richtlinie erhöht die Berichtspflichten von EbAV an die Aufsicht. Hinzu kommen erhöhte versicherungsaufsichtliche Anforderungen an die IT (Vait) der EbAV. Neben diesen Vorschriften gibt es auch viele, die zum Teil unnötige Informations-, Nachweis- und Dokumentationspflichten bescheren, etwa der EU-Legislativvorschlag zu Financial Data Access (Fida), der den Zugang und Austausch von Daten aus Finanzprodukten für Kunden erleichtern soll, oder das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (Pueg) mit erweiterten Arbeitgeberpflichten zur Erhebung des Kindesalters aller Arbeitnehmer für die Ermittlung des Pflegebeitrages. Hinzu kommt die Nachhaltigkeitsregulierung, etwa die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) oder die EU-Offenlegungsverordnung.

Wer soll diese ganzen Informationen überhaupt nutzen?

Stiefermann: Man fragt sich in der Tat, wer all dies in den Aufsichtsbehörden liest und auswertet. Noch mehr stellt sich die Frage, was ein Arbeitnehmer, der gar nicht über das notwendige Finanzwissen verfügt, mit all den Informationen anfängt, die man ihm zukommen lassen soll. All diesen Regelwerken merkt man an, dass sie für die Finanzindustrie geschaffen wurden und die Eigenheiten der bAV nicht ausreichend berücksichtigen. Wer die bAV ausweiten will, sollte ihr eine eigenständige Regulierung gewähren.

Vielen Dank für das Gespräch. (dpo)


Klaus Stiefermann stieg nach dem Jura-Studium 1993 bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ein und wechselte fünf Jahre später in die sozialpolitische Abteilung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft. Seit 1999 führt der gebürtige Westfale er die Geschäfte der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (Aba). Ehrenamtlich ist der 59-Jährige seit 2005 Vorstand und seit 2021 stellvertretender Vorsitzender von Pensions Europe, dem europäischen bAV-Fachverband.