Seit knapp einem Jahr gehört Bernhard Gause zur Doppelspitze des Bundesverbandes Deutscher Versicherungsmakler (BDVM), der Spitzenorganisation der Versicherungsmakler in Deutschland. Seine Wahl zum geschäftsführenden Vorstand ist für die Mitgliederversammlung im November vorgesehen. Im Interview mit FONDS professionell ONLINE stellt sich Gause aktuellen Fragen zur Regulierung, dem Versicherungsschutz in Zeiten von Pandemie und Klimawandel und der Rolle des Maklers in einer komplexer werdenden Welt.


Herr Gause, was sind die drei wichtigsten Zukunftsthemen des BDVM, mit denen Sie als prospektiver Nachfolger von Hans-Georg Jenssen zu tun haben?

Bernhard Gause: In Schlagworten: Vergütung, Digitalisierung, Nachhaltigkeit. Alles hängt mit allem zusammen. So war und ist auch zukünftig die Frage, ob weiter Courtage oder Honorar zu zahlen ist, eine der zentralen Zukunftsfragen. Zweitens ist die Frage der digitalen Resilienz, dem Zugang und der Verarbeitung von Daten und des Abschlusses von Versicherungsverträgen im digitalen Zeitalter – zusammengefasst als Digitalisierung – zentral, gerade angesichts auch möglicher Konkurrenten wie Google oder Amazon. Und drittens ist da noch das omnipräsente Thema ESG: Es betrifft die Beratungspflichten seit dem 2. August 2022, aber auch die Frage der Nachhaltigkeit des eigenen Unternehmens.

Die Politik ist häufig um Anstöße für mehr Betriebsrente bemüht. Warum stagniert die bAV-Verbreitung dennoch?

Gause: Das hat viele Ursachen. Die Regeln überfordern manche Arbeitgeber in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Hinzu kommt das zu enge regulatorische Korsett für das Produktangebot sowohl in der Spar- als auch in der Rentenphase samt unhaltbarer Mindestgarantien. Wenig hilfreich ist der Vertrauensverlust, für den das Modernisierungsgesetz der gesetzlichen Krankenversicherung 2004 sorgte, als in Bestandsverträge der Direktversicherung eingegriffen wurde. Auch der nachträgliche Zwang zum Arbeitgeberzuschuss bei Entgeltumwandlung bedeutet einen massiven Eingriff in Bestandsverträge. Die Portabilität der bAV-Verträge beim Wechsel des Arbeitgebers ist ebenfalls nicht wirklich gut geregelt. Gerade bei der Portabilität besteht ein erheblicher Zielkonflikt zwischen dem Arbeitnehmer und dem neuen Arbeitgeber. Zum einen müsste die Haftung des neuen Arbeitgebers eingeschränkt werden, um die alte Versorgung nicht zur Beitragsfreistellung zu treiben. Zum anderen müssten auch die Produktgeber einbezogen werden und weiter für Altkonditionen einstehen. Dabei ist die bestehende Regelung, dass bei einer Kapitalübertragung des bestehenden Vertrags in einen neuen keine erneuten Abschlusskosten anfallen, eine positive Stoßrichtung.

Rechnen Sie noch mit einer staatlich mitorganisierten Pandemieabdeckung, nachdem viele Firmen bei Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung leer ausgegangen sind?

Gause: Der BDVM hat sich bereits vor zwei Jahren zusammen mit dem Gesamtverband der versicherungsnehmenden Wirtschaft GVNW für einen Private-Public-Partnership-Ansatz (PPP) ausgesprochen, bei dem die Versicherungswirtschaft einbezogen wird. Der Abschluss einer solchen Pandemieabdeckung ist freiwillig, es muss aber auch klar sein, dass Unternehmen, die trotz der Möglichkeit keinen Versicherungsschutz erwerben, vom Staat dann keine Hilfe erwarten können. Die Mechanismen der Versicherungswirtschaft und ihre Fähigkeit, entsprechende Beiträge zu kalkulieren und im Schadenfall die Absicherung auch schnell zur Verfügung zu stellen, machen eine solche "Pandemievorsorge" als Versicherungslösung sinnvoll. Die 2002 gegründete Extremus-Versicherung zur Absicherung von Terrorangriffen könnte als Vorbild für einen Spezialversicherer mit Staatsbeteiligung dienen. Man könnte alternativ den Deckungsumfang von Extremus um die Pandemieabsicherung erweitern. Da der Staat durch die im Vorhinein finanzierte Pandemieabsicherung im Ernstfall entlastet wird, sollte er sich im Rahmen einer PPP auch bei der Finanzierung der Absicherung angemessen beteiligen. Dadurch könnten die Risikoprämien in einem für die Betroffenen vertretbaren finanziellen Rahmen gehalten werden.

Auch die Hochwasser-Pflichtversicherung scheint ein gutes Jahr nach der verheerenden Ahrtal-Überschwemmung wieder einmal zerredet zu werden. Oder sehen Sie da noch Chancen für zeitnahe Umsetzung?

Gause: Das Thema wird auf der politischen Agenda bleiben, weil die Klimafrage in aller Munde ist und wir uns auf solche Ereignisse besser einstellen müssen. Als erster Schritt ist eine Übereinkunft aller Versicherer und Vermittler notwendig, dem Kunden grundsätzlich eine umfassende Elementardeckung anzubieten. Dieser müsste eine solche Deckung bewusst abwählen (Opt-out). Die jetzige Ausarbeitung der Justizministerkonferenz macht, anders als noch 2017, deutlich, dass eine Pflichtversicherung möglich ist. Infolgedessen hat sich auch die Ministerpräsidentenkonferenz im Juni 2022 für eine entsprechende Prüfung ausgesprochen.

Die Digitalisierung soll viele Probleme innerhalb der Branche lösen helfen, doch Makler beklagen vor allem, dass Versicherer bei der Dokumentenabholung und Policierung immer noch ihr hauseigenes Extranet favorisieren. Das macht es bei 15 Anbindungen pro Makler zur Sisyphusarbeit. Was ist die Lösung des Problems?

Gause: Wir fordern die Konzentration auf Bipro-Standards. Durch diese Schnittstellenanbindung wären Versicherer in allen Maklerverwaltungsprogrammen präsent und man könnte sich sofort vernetzen. Wir haben auch mit anderen Verbänden einen Code of Conduct für die digitale Kommunikation entwickelt und ihn den Versicherern zur Abstimmung vorgelegt. Zurzeit wird dieses Projekt im Rahmen der Bipro bearbeitet. Digitalisierung allein ergibt wenig Sinn, wenn die Spielregeln nicht feststehen. Wichtig ist aber natürlich auch, dass nicht nur Versicherer und Makler digital flüssig zusammenarbeiten, sondern auch der Kunde einbezogen wird. Es muss also ein breiter Standard kommen.

Bekommen angesichts global zunehmender Risiken alle Kunden künftig überhaupt noch angemessenen Schutz?

Gause: Genau dies muss sichergestellt werden. Das betrifft nicht nur denkbare Großschadenereignisse wie Cyberattacken und Pandemien, sondern auch die Frage, welchen Schutz Versicherer unter den künftigen Nachhaltigkeitsanforderungen überhaupt noch anbieten können. Bereits jetzt gelang es einem BDVM-Makler nicht mehr, ein neues Kohlekraftwerk, das eine alte Dreckschleuder ablösen sollte, mit deutscher Beteiligung zu versichern. Können Fleischimporteure, die Rindfleisch aus Argentinien beziehen, ihr Geschäftsmodell in Zukunft noch versichern? Und wie sieht es mit bestimmten Formen der Tierzucht und -haltung in Deutschland aus? Auch im Bereich der Textilindustrie sollen Versicherer schon sehr genau hinsehen, Stichwort Lieferkettengesetz. All diese Tätigkeiten sind nicht verboten, doch die Versicherungswirtschaft, in der sich der Makler bewegt, könnte ihre Rolle bei der Absicherung von Risiken und ihre dienende Funktion zunehmend verlieren, wenn immer mehr Bereiche geächtet und damit nicht mehr versicherbar werden.

Vielen Dank für das Gespräch. (dpo)


Bernhard Gause, Jahrgang 1968, ist in Mainz aufgewachsen und hat in Berlin zum Thema "Europäisches Konzernrecht im Vergleich" promoviert. Der Jurist war über 20 Jahre für den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) tätig, darunter als Chefsyndikus und Leiter des Europabüros des GDV in Brüssel, zuletzt als Mitglied der Geschäftsführung mit dem inhaltlichen Schwerpunkt "Risikoschutz für Gesellschaft und Wirtschaft". Seit 1. Oktober 2021 ist Gause beim BDVM als prospektiver Nachfolger des langjährigen geschäftsführenden Vorstands Hans-Georg Jenssen tätig, der Ende 2022 in den Ruhestand geht.


Ein ausführliches Interview mit dem scheidenden BDVM-Vorstand Hans-Georg Jenssen lesen Sie in FONDS professionell 3/2022. Die Ausgabe wird den Abonnenten Ende September zugestellt.