Die Lebenserwartung in Deutschland und anderen Industriestaaten kannte lange Zeit nur eine Richtung: aufwärts. Damit könnte es nun vorbei sein – zumindest in Großbritannien haben Mathematiker errechnet, dass die Lebenserwartung von 65-jährigen Männern um ein halbes Jahr gesunken ist. Daher mussten die Versicherer auf der Insel ihre Sterbetafeln ändern, die die Alters- und Todesdaten einer Bevölkerung statistisch auswerten und ein Faktor bei der Berechnung von Prämien und Kapitalrückstellungen für klassische Rentenpolicen sind. Müssen auch die deutschen Versicherer ihre Tarife neu kalkulieren? Ein näherer Blick auf die Berechnung der Tarife gibt die Antwort auf diese Frage.

So entstehen Sterbetafeln
"Das Statistische Bundesamt sammelt Daten, wie viele Personen eines jeden Alters leben und wie viele davon in einem Jahr starben", erklärt der selbstständige Aktuar Bernd Heistermann. Die so auf Jahresbasis oder auf Grundlage von drei Jahren erhobenen Zahlen werden zunächst aggregiert. Dann werden vereinfacht gesagt Quotienten für jedes Alter berechnet: Die Zahl der Verstorbenen wird dividiert durch die Zahl der Lebenden – auch getrennt nach Geschlecht. Diese so berechneten Quotienten, im Fachjargon Sterbewahrscheinlichkeiten genannt, liegen zwischen null und eins. 

Im nächsten Schritt glätten Mathematiker die Reihen und entwickeln die beobachteten Sterbewahrscheinlichkeiten zu sogenannten Generationentafeln weiter, indem sie die den seit über 100 Jahren andauernden Trend zu ­einer gestiegenen Lebenserwartung aufgrund des medizinischen und technischen Fortschritts berücksichtigen. 

Aktuare berechnen eigene Tafeln
Die Assekuranz nutzt aber nicht die offiziellen Zahlenreihen des Statistischen Bundesamtes, sondern die der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV), die auf denen der Behörde aufbauen, weil dieser im Schnitt gesünder sind und länger leben. Das ist wichtig, um zu verstehen, welchen Einfluss die Tafeln auf die Kalkulation der Versicherungsprämien haben: Je älter eine Person wird, desto länger muss der Versicherer die in einer Police garantierte Rente zahlen. Die Gesellschaft muss also mehr Kapital mit den eingezahlten Prämien sowie den darauf basierenden Anlagen am Kapitalmarkt erwirtschaften beziehungsweise vorhalten. 

Aus diesem Grund bauen die Aktuare bei der in der Rentenversicherung immer noch maßgeblichen Tafel DAV 2004R Abschläge von bis zu 40 Prozent auf die Sterbewahrscheinlichkeiten der offiziellen Generationentafel ein und verkleinern sie damit. Die kleinere Sterbewahrscheinlichkeit führt nämlich dazu, dass – bei sonst gleichen Parametern – höhere Prämien für die gewünschte Rente aufgebracht werden müssen, da die Quotienten Teil einer mathematischen Formel sind, mit der die Prämien ausgerechnet werden. 

Zinsen haben größeren Einfluss
Aber zurück zu der Ausgangsfrage: Experten zufolge gibt es keine zweifelsfreien Hinweise, dass sich die Lebenserwartungen in Deutschland geändert haben. Daher werden die Sterbewahrscheinlichkeiten nicht geändert. Selbst wenn das der Fall wäre, sie hätten im Vergleich zum Einfluss des Rechnungszinses ohnehin nur geringe Auswirkungen auf die Kalkulation der Prämien.

"Die Veränderung der Sterblichkeit spielt nur bei Personen, die im höheren Alter einen Vertrag abschließen, eine signifikante Rolle bei der Neuberechnung der Prämien", sagt Heistermann. Bei den Jüngeren sind die Verschiebungen des Rechnungszinses viel wichtiger. "Dies liegt daran, dass die durch vorzeitig sterbende junge Versicherungsnehmer an das Versichertenkollektiv weitergegebenen Rückstellungen nur im Promillebereich liegen, die Zinsen aber im Prozentbereich zum Wachsen der Rückstellungen führen", so der Aktuar. Erst ab einem Alter von 60 Jahren werde die Sterblichkeit zu einer auch im Vergleich mit den Zinsen wichtigen Kalkulationsgrundlage (siehe Beispielrechnung).


 
Zinsen haben insbesondere bei Rentenpolicen mit aufgeschobenem Rentenbeginn, der zu einer längeren Laufzeit führt, ein größeres Gewicht – und hier vor allem bei Produkten mit regelmäßigen Beiträgen. "Der Zinseszinseffekt beeinflusst die Berechnung hier im Allgemeinen wesentlich stärker", so der selbstständige Versicherungsmathematiker Peter Schramm. Er verweist darauf, dass auch Aspekte wie die Laufzeit und bestimmte Klauseln, etwa eine Beitragsdynamik, die Wirkung des Zinses auf die Prämien beeinflussen.  (jb)


Weitere Details zu Sterbtafeln finden Leser in dem Artikel "Stirb langsam" in FONDS professionell 1/2018  Angemeldete FONDS professionell KLUB-Mitglieder können den Beitrag auch hier im E-Magazin abrufen.