Die Geschichte hat Frank Dietrich so oder so ähnlich mehrfach erlebt: Eine Frau hatte im Rahmen eines Gentests erfahren, dass sie von ihrer Mutter ein Mutations-Gen geerbt hatte, das die Blutgerinnung behindert. Die Ausprägung war derart gering, dass behandelnde Ärzte keinerlei erhöhtes Risiko sahen. Eine solche Disposition ist keine Erkrankung, denn dann hätte die Frau Beschwerden und müsste behandelt werden. Eine schwere Zahnoperation war bereits ohne Probleme verlaufen. "Demzufolge ein klarer Fall von prädiktivem Gentest, mit dem das erblich bedingte Krankheitsrisiko bestimmt werden sollte, ohne dass die Frau Beschwerden und medizinisch notwendige Behandlung nötig hat", meint der auf PKV, BU- und Pflegeversicherung spezialisierte Fachmakler aus Potsdam.

Umso überraschter war er, als das Servicecenter der Barmenia Krankenversicherung das Ergebnis des prädiktiven Gentests zur Risikobeurteilung anwenden wollte, als die Frau sich privat krankenversicherte. Erlaubt war eigentlich nur, bei den Gesundheitsangaben auch nach Beschwerden und Anomalien zu fragen (Paragrafen 19 bis 22 und 47 VVG). Der Versicherer berechnete wegen des Gentest-Ergebnisses sogar einen Risikozuschlag. Dietrich wies die Barmenia darauf hin, dass nur die Ergebnisse diagnostischer Gentests verwendbar seien, wo bereits Beschwerden und Behandlungen vorliegen und der Test zur Klärung der Diagnose dient. Laut behandelnder Ärztin war jedoch ein prädiktiver Gentest vorgenommen worden.

Der Unterschied von prädiktivem und diagnostischem Gentest  
"Das Gendiagnostikgesetz verbietet dem Versicherer, Ergebnisse solch prädiktiver Gentests überhaupt entgegenzunehmen, geschweige denn zur Risikobewertung anzuwenden", erklärt der Makler (externer Link). Einzige Ausnahme: Bei Versicherungssummen ab 300.000 Euro oder Jahresrenten ab 30.000 Euro muss auch das Ergebnis des prädiktiven Gentests dem Versicherer angezeigt werden, und zwar in der Lebens-, BU-, EU- und privaten Pflegeversicherung.

Die Risikoprüfer der Barmenia bestätigten schließlich Dietrichs Auffassung und versicherten die Neukundin ohne Risikozuschlag und ohne Bezug auf die Ergebnisse des vorsorglichen Gentests, dessen Resultate gar nicht bei der Risikobeurteilung verwendet werden durften. Parallel hatte der Makler bei der Alten Leipziger eine Voranfrage gestartet. Dort wollte man lediglich aus Kulanzgründen auf einen Risikozuschlag verzichten, weil neben dem prädiktiven Gentest auch eine konventionelle Blutuntersuchung auf einen pathologischen Wert hinwies. Offensichtlich wertete der Versicherer dies als Krankheitsbild. Übrigens: Alle Unterlagen der Ärzte und der Schriftwechsel mit den Versicherern liegen der Redaktion vor.

Wann eine Krankheit vorliegt
Das beunruhigte den Makler, dessen Geduld auch in anderen Fällen auf die Probe gestellt wurde. Das Kernproblem: Wann liegt überhaupt eine Krankheit vor? Hier entscheiden die Gesellschaften völlig unterschiedlich, obwohl schon der Blick auf Wikipedia zeigt: "Krankheit ist ein Zustand verminderter Leistungsfähigkeit, der auf Funktionsstörungen von einem oder mehreren Organen, der Psyche oder des gesamten Organismus beruht."

"Trotz klarer gesetzlicher Vorgaben wird bei einigen Gesellschaften offenbar gewürfelt, ob es sich um einen prädiktiven oder krankheitsbedingten diagnostischen Gentest handelt", hat Dietrich beobachtet. Der Begriff "Krankheit" mache aber den Unterschied, so der Makler weiter. So ergab seine Umfrage unter mehreren Gesellschaften, dass häufig eine Krankheit angenommen wird, obwohl keine Beschwerden vorliegen und demnach keine Behandlung erfolgt.

In einem Fall waren es erhöhte Thrombozytenwerte. Die Ärztin bestätigte dem Makler, dass keine Erkrankung vorliegt, also nur ein prädiktiver Gentest vorgenommen wurde. Dennoch haben Hallesche und auch Barmenia eine Krankheit (Thrombozytose) in der Risikobewertung zugrunde gelegt und damit auch das Ergebnis des Gentests verwendet. "Das habe ich schriftlich", sagt Dietrich – und versteht die Welt nicht mehr. Letztlich lehnten beide Versicherer den Versicherungsschutz wegen des Gesamtrisikos ab.

Behörden überlassen Beurteilung Versicherern und Vermittlern
Mehr Klarheit über die Krankheitsdefinition und das Verbot der Verwendung von Ergebnissen prädiktiver Gentests durch Versicherer versprach sich Makler Dietrich vom zuständigen Bundesgesundheitsministerium (BMG). Dort gab man nur ausweichende Antwort. "Im Rahmen der Zuständigkeiten und Befugnisse gibt es keine Möglichkeit, den von Ihnen geschilderten Sachverhalt im BMG zu überprüfen bzw. hierzu eine wertende Stellungnahme abzugeben." Und weiter: Das BMG habe weder die Möglichkeit noch die Berechtigung, die Entscheidung einzelner Krankenversicherer zu beeinflussen oder zu überprüfen, dies sei Aufgabe der Aufsichtsbehörden.

Dietrich fordert Klarheit vom Gesetzgeber, denn "es kann ja nicht sein, dass ein Gesetz, das Diskriminierung verbietet, im Umkehrschluss doch eine Diskriminierung auslöst". Weder er als Makler noch seine potenziellen Kunden wüssten, wie eine Gesellschaft einen prädiktiven Gentest bewertet, wenn sie ihn eigentlich gar nicht zur Kenntnis nehmen darf. Das Risiko, bei späterer Erkrankung eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung vorgeworfen zu bekommen und damit den Schutz zu verlieren, liegt dann einseitig beim Kunden – für den Makler ein völlig unangemessener Zustand. (dpo)