Wer im Jahr 2021 eine klassische Lebensversicherung abschließen möchte, wird sich auf noch niedrigere Renditen einstellen müssen, als sich bisher erzielen lassen. Davon geht zumindest Norbert Rollinger, Vorstandschef des nach Beitragseinnahmen zweitgrößten Lebensversicherers in Deutschland, der R+V, aus. "Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Branche den Garantiezins ab 2021 senken wird", sagt er in einem Interview mit dem "Handelsblatt". An einer weiteren Senkung des Garantiezinses führe kein Weg vorbei.

Dass die Bundesregierung eine Senkung des seit 2017 geltenden Höchstrechnungszinses von 0,9 Prozent zum 1. Januar 2021 aufgrund der Corona-Krise bis auf weiteres vertagt hat, ändere daran nichts. Zuvor hatte die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV), die berufsständische Vertretung der Versicherungsmathematiker, gefordert, der Garantiezins solle ab kommendem Jahr auf 0,5 Prozent sinken.

Zinssenkung aus eigenem Antrieb
Doch auch ohne eine Vorgabe der Bundesregierung werde die Branche aus eigenem Antrieb dazu übergehen, die Sätze für den garantierten Zins herunterzuschrauben, vermutet Rollinger. "Ich frage mich, welches Versicherungsunternehmen künftig noch einen Garantiezins von 0,9 Prozent für wesentliche Produkte seines Neugeschäfts anbieten will", sagte er dem "Handelsblatt". 

Die Finanzaufsicht Bafin hatte bereits appelliert, dass die Versicherer keine Produkte mit einer garantierten Verzinsung von 0,9 Prozent auf den Sparanteil mehr entwickeln sollten. Die Versicherer wollen dieser Empfehlung nun offensichtlich nachkommen.

Novum in der Branche
Den Höchstrechnungszins legt die Bundesregierung in Absprache mit den Aktuaren und der Bafin fest. Er behält in der Regel für mehrere Jahre Gültigkeit. Versicherer dürfen ihren Kunden zwar eine geringere, allerdings keine höhere Verzinsung fest zusagen. De facto bietet dem "Handelsblatt" zufolge derzeit aber kaum ein Versicherungsunternehmen einen Garantiezins, der die offizielle Vorgabe unterschreitet. Würde ein Großteil der Unternehmen ihre garantierten Zinsen unter diesen Wert senken, wäre dies ein Novum in der Branche.

"Ich glaube, dass wir ab dem kommenden Jahr sehr individuelle Garantiezinssätze bei den klassischen Policen sehen werden", erklärte der R+V-Vorstandschef im "Handelsblatt"-Interview. "Es wäre vielleicht komfortabler für die Branche gewesen, wenn die Politik eine Richtlinie gegeben hätte", sagte Rollinger. So werde jedes Management individuell auf das anhaltend niedrige Zinsniveau am Kapitalmarkt reagieren müssen. 

Keine Vorgaben vom GDV
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), in dessen Präsidium Rollinger vertreten ist, könne hier keine Vorgaben machen. Schließlich sei es die Entscheidung eines jeden Unternehmens, die Höhe des Garantiezinses festzulegen. Immerhin: Von seiner Senkung des Zinses wären nur Neukunden betroffen, alte Verträge hingegen nicht. (am)