Die Lebenserwartung in Deutschland und anderen Industrienationen kannte in den vergangenen Jahrzehnten nur eine Richtung: aufwärts. Doch damit könnte es nun vorbei sein, denn es gibt Anzeichen dafür, dass die Menschen im Schnitt wieder früher sterben. Die Gründe dafür sind ungesunde Lebensgewohnheiten, Fettleibigkeit und damit verbundene Krankheiten. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Kosten-Ertrags-Rechnung der Lebensversicherer und der Anbieter von Betriebsrenten, berichtet die "Süddeutsche Zeitung" (SZ).

Schließlich müssen die Gesellschaften bei Produkten, die eine lebenslange Rente versprechen, wegen der hohen Lebenserwartung ab Rentenbeginn hohe Deckungsrückstellungen bilden. Mit anderen Worten: Sie müssen viel Kapital zurücklegen. Die EU-Versicherungsrichtlinie Solvency II schreibt erschwerend vor, dass diese Gelder mit Eigenkapital gesichert werden müssen, um das Langlebigkeitsrisiko abzudecken. Das ist angesichts der Niedrigzinsen und der Zinszusatzreserve ein drängendes Problem, da den Versicherern so der Spielraum für rentierlichere Anlagen und damit höhere Gewinne genommen wird. Sinkende Lebenserwartungen indes entschärfen die Lage, da weniger Kapital benötigt wird.

Briten sterben wieder früher
Auf die Versicherten selbst hätte eine Anpassung der sogenannten Sterbetafeln, mithilfe derer die Assekuranz das Lebens- respektive Todesfallrisiko in Tarife umrechnet, ab einem bestimmten Zeitpunkt ebenfalls Auswirkungen. Denn dann müssten die Kunden weniger Geld ansparen oder bekämen eine höhere Rente. Allerdings werden die Prämien bei laufenden Verträgen nicht geändert, sondern nur bei Neuabschlüssen. Erst in der Zukunft könnten Kunden entsoprechend profitieren.

Eine solche Trendwende ist den USA und in Großbritannien bereits spürbar. So haben Versicherungsmathematiker errechnet, dass die Lebensdauer von 65-jährigen britischen Männern aktuell um ein halbes Jahr gegemüber bislang gültigen Kalkulationen gesunken ist. Die Londoner Unternehmensberatung LCP erwartet der SZ zufolge, dass dadurch die Verpflichtungen britischer Pensionseinrichtungen und Unternehmen von insgesamt zwei Billionen Pfund (2,2 Bn. Euro) um satte 60 Milliarden Pfund (67 Mrd. Euro) sinken.

Für Deutschland keine gesicherte Trendwende
Auch in Deutschland gebe es erste Anzeichen für eine mögliche Trendwende. Die Zeitung schreibt unter Berufung auf Roland Weber, Vorstandsmitglied der Debeka und Chef der Deutschen Aktuarvereinigung, dass die Lebenserwartung in Deutschland seit 175 Jahren pro Jahrzehnt um zweieinhalb Jahre gestiegen ist. "Dieser Trend scheint sich abzuschwächen", so Weber gegenüber der SZ. Betrachte man nur die Daten für 2016, sei die Restlebenserwartung von 65-Jährigen um ein halbes Jahr niedriger ausgefallen als in den Vorjahren. Diese Veränderung habe 2015 begonnen, noch seien die Werte aber im normalen Schwankungsbereich.

Andere Experten widersprechen. "Ein Nachlassen des Trends oder eine Trendumkehr, wie sie aus Großbritannien berichtet wird, haben wir noch nicht feststellen können", sagt Richard Herrmann, Chef der Beratungsfirma Heubeck der Zeitung. Seine Richttafeln basieren auf Statistiken der gesetzlichen Rentenversicherung. "Und da schreitet die Verlängerung der Lebenserwartung weiter voran." (jb)