Versicherungsvermittler müssen sich auch unter dem Regime der EU-Richtlinie Solvency II nicht tief in Solvenzberichte einlesen. Was die neuen Solvenzquoten bedeuten, die Versicherungsunternehmen seit 2016 einmal pro Jahr veröffentlichen müssen, sollten Makler aber dennoch wissen. Davon ist Hans-Georg Jenssen, geschäftsführender Vorstand des Verbandes Deutscher Versicherungsmakler (VDVM), überzeugt.

"Die Solvenzquote ist nur ein Indikator für die Finanzkraft eines Versicherers, eine zusätzliche Kennzahl", erklärt Jenssen. Einzeln betrachtet sage sie aber nichts über das Wohl und Weh eines Unternehmens aus. "So ist es zum Beispiel möglich, dass die Quote eines Versicherers hoch ausfällt, weil er seinen Kunden kaum Überschüsse gutschreibt", sagt Jenssen. Bei einem anderen Unternehmen könne sie gerade deswegen niedrig sein, weil in jüngster Zeit viele Kunden an stillen Reserven beteiligt wurden.

Gesamtschau über Verhältnisse des Versicherers bieten
"Welcher der beiden Versicherer stabiler dasteht, lässt sich an der Quote allein also nicht erkennen", erklärt Jenssen. Maklern empfiehlt er daher, die Solvenzquoten bei ihrer Arbeit zu berücksichtigen. "Dennoch schulden sie ihren Kunden eine Gesamtschau über die Verhältnisse eines Versicherers", sagt der VDVM-Vorstand.

Solvency II ist zum 1. Januar 2016 in das nationale Recht der EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt worden und in Kraft getreten. Zum Stichtag 31. Dezember 2016 waren alle Versicherungsunternehmen erstmals aufgefordert, ihre Solvenzquote zu errechnen und der Finanzaufsicht Bafin zu melden. Am 22. Mai gaben die Bonner Aufseher sie dann bekannt.

Umstrittene Aussagekraft
Ziel der neuen Kennzahlen ist es, Marktteilnehmern mehr Aufschluss über die Finanzkraft von Versicherern zu geben und sie hinsichtlich ihrer Stabilität vergleichbarer zu machen. Doch weil die Unternehmen bei der Ermittlung ihrer Krisenfestigkeit zum Teil unterschiedliche Modelle verwenden, manche zudem bestimmte Übergangsmaßnahmen nutzen und andere nicht, ist es die Aussagekraft der neuen Solvenzquoten umstritten.

"Es ist einem Makler nicht zuzumuten, dass er Solvenzberichte studiert und bis ins Detail nachvollzieht, wie die Quoten verschiedener Versicherer eigentlich zustande kommen", macht Jenssen klar. Vermittler sollten sich mit den neuen Kennzahlen aber auseinandersetzen, wissen, was sie bedeuten und welche Faktoren hier einfließen. Ob ein Vermittler haftet, wenn er eine Police eines Versicherers empfiehlt, obwohl dieser aktuell eine schlechte Quote aufweist, komme auf die näheren Umstände an.


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Produkte aus dem oberen Drittel empfehlen
"Wenn der Makler einen Versicherer empfohlen hat, bei dem zum Zeitpunkt der Vermittlung einer Police bereits Schwierigkeiten abzusehen waren, hat er sicher ein Problem", sagt Jenssen. Natürlich wäre es auch grob fahrlässig, das Produkt eines Unternehmens zu vermitteln, dessen Quote sich auf 101 Prozent beläuft, wenn es zehn vergleichbare Versicherer mit Solvenzquoten um die 150 Prozent gibt. Andererseits könne natürlich kein Vermittler in die Zukunft sehen, daher sei er für plötzlich eintretende Veränderungen auch nicht verantwortlich zu machen. "Ich denke, wenn man Policen von Versicherern wählt, deren Quoten im oberen Drittel des Marktes liegen, geht man kein Risiko ein", sagt Jenssen.

Gerate ein Versicherer ins Wanken, dann sollten Makler die betroffenen Kunden darüber informieren. Das gelte umso mehr, wenn das Unternehmen bei Abschluss der Police bereits eine niedrige Solvenzquote hatte. "Vermittler bekommen meist laufende Courtagen, daher kann man wohl erwarten, dass sie die Verträge ihrer Kunden auch im Auge haben", erklärt Jenssen. (am)