Die Eigenkapital- oder Solvenzquoten (SCR-Quoten) der deutschen Lebensversicherer sind zum Stichtag 31. Dezember 2023 im Vergleich zum Vorjahr wieder leicht zurückgegangen. Eine aktuelle Analyse der Ratingagentur Assekurata ergab, dass die SCR-Quoten im Schnitt über alle berücksichtigten Versicherer bei rund 573 Prozent liegen, was einem Rückgang gegenüber dem Vorjahr (619%) von 46 Prozentpunkten entspricht. Zudem gibt es zwischen den einzelnen Unternehmen große Unterschiede, wie die Assekurata ausgewertet hat. 

Der Grund für die Entwicklung der Quoten, die die Widerstandsfähigkeit der Versicherer gegen Verwerfungen an den Kapitalmärkten anzeigen – ab einer Quote von 100 Prozent gilt das als gesichert –, sind die wieder gesunkenen Kapitalmarktzinsen. So lag beispielsweise die Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen Ende 2023 bei 2,03 Prozent. Ein Jahr zuvor rentierten sie noch mit 2,56 Prozent. Um zu verstehen, warum die Kapitalmarktzinsen einen solchen Einfluss auf die Solvenzquoten haben, muss man sich deren Berechnungsmethode nach den Vorgaben der europäischen Solvency-II-Richtlinie vergegenwärtigen.

So wird gerechnet
In einem ersten Schritt ermitteln die Versicherer ihre Eigenmittel auf Basis einer "marktwertbasierten Berechnung". "Dafür müssen sie die Summe ihrer Vermögenswerte auf Grundlage der aktuellen Marktwerte berechnen, die in erster Linie aus den Kapitalanlagen bestehen. Im zweiten Schritt werden von den Vermögenswerten die zukünftigen Verbindlichkeiten, die versicherungstechnischen Rückstellungen, als bester Schätzwert abgezogen", erläutert Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei der Kölner Ratingagentur Assekurata. Die Differenz sind die aktuell verfügbaren Eigenmittel des Versicherers.

Diese werden dann einer Vielzahl von Stresstests unterzogen, welche Solvency II definiert und die für jedes Risiko einen "Super-GAU" annehmen, dessen Eintritt statistisch nur einmal in 200 Jahren zu erwarten ist. Aus der Summe aller Stress-Szenarien ergibt sich die Höhe des Risikokapitals (SCR), das ein Versicherer benötigt, um allen Verpflichtungen gegenüber seinen Kunden nachkommen zu können. "Wird das SCR-Kapital dann in Relation zu den errechneten Eigenmitteln gesetzt, ergibt sich die Solvenzquote", so Heermann – mathematisch dargestellt mit den Eigenmitteln im Zähler und den SCR-Anforderungen im Nenner.

Zinswende
Das Gros der Kapitalanlagen der Versicherer besteht nun aus Anleihen. Deren Marktwert war im Zuge der Zinswende gesunken. "Auf der anderen Seite haben sich auch die rechnerischen Verpflichtungen verringert, aber wesentlich stärker", erklärt Herbert Schneidemann, Vorstandsvorsitzender der Versicherungsgruppe Die Bayerische und Mitglied im Vorstand der Deutschen Aktuarvereinigung. "Das liegt daran, dass die Laufzeiten der von den Versicherungsgesellschaften eingegangenen Verpflichtungen länger sind als die Laufzeiten der Anleihen, in der Regel 20 Jahre und mehr." Bei dieser Gegenüberstellung ist nicht die schlichte Summe der künftigen Auszahlungen an die Kunden entscheidend, sondern deren auf den heutigen Zeitpunkt abdiskontierter Wert. Dank des höheren Zinses ist dieser Barwert stärker gefallen als der Marktwert der Anleihen, was die Solvenzquote erhöhte.

Daher hatten die durchschnittlichen Solvenzquoten der Lebensversicherer im Bilanzjahr 2022 ihre bisherigen Höchststände erreicht, nachdem die Marktzinsen zuvor stark angestiegen waren. Zuletzt ging es wieder in die andere Richtung: Insgesamt hat sich bei 43 Unternehmen das Solvenzniveau gegenüber dem Vorjahr abgeschwächt. Im Detail verteilen sich die SCR-Quoten im regulatorischen Nachweis von unter 200 bis weit über 1000 Prozent. Den Spitzenwert erzielt wie im Vorjahr die Signal Iduna Lebensversicherung a.G. mit 1.317 Prozent, gefolgt von der R+V Lebensversicherung a.G. mit 1.267 Prozent. 

Solvenzquoten unter Beobachtung
Probleme sollte die meisten Lebensversicherer mit ihren Solvenzanforderungen damit nicht haben. "Viele Anbieter profitieren davon, dass sie ihre Geschäftsfelder mittlerweile solvenzschonender als in der Vergangenheit betreiben", kommentiert Lars Heermann die aktuellen Zahlen. "Allerdings rechnen wir zum Sommer mit ersten Leitzinssenkungen der Europäischen Zentralbank, sodass die Entwicklung des Zinsniveaus und die Auswirkungen auf die Solvenzlage weiter unter Beobachtung bleiben sollten." (jb)


Eine ausführliche Darstellung der Berechnung der SCR-Quoten, die Auswirkungen der Zinswende auf die Quoten sowie die Rolle der Übergangsmaßnahmen finden interessierte Leser in Ausgabe 1/2024 von FONDS professionell; der Beitrag ist nach Anmeldung auch hier im E-Magazin abrufbar.