Für Lebensversicherungen, die in den Jahren 1994 bis 2007 abgeschlossen worden sind, hat der Gesetzgeber ein ewiges Widerspruchsrecht eingeräumt, wenn Kunden nachweislich keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erhalten haben. In solchen Fällen kann der Kunde auch im Nachhinein den Widerruf erklären und eine Rückabwicklung seines Vertrages verlangen. 
Günter Kappestein, Leiter Vertrieb beim Düsseldorfer Legaltech-Unternehmen Helpcheck, erklärt im Interview mit FONDS professionell ONLINE, wie es funktioniert und warum Berater Kunden aktiv auf das Thema ansprechen sollten.


Herr Kappestein, in Zeiten dauerhaft niedriger Zinsen fragen sich viele Inhaber von Lebenspolicen, ob sie sich nicht besser von ihrem Vertrag trennen sollten. Ein Weg ist die Rückabwicklung. In welchen Fällen ist diese möglich?

Günter Kappestein: Grundsätzlich kommen für eine Rückabwicklung Lebens- und Rentenversicherungen in Frage, die zwischen dem 21. Juli 1994 und dem 31. Dezember 2007 abgeschlossen worden sind. Bei dem damals gängigen Policenmodell unterschrieb der Versicherungsnehmer in spe den Antrag für die Police, der Versicherer sandte ihm diese einige Zeit später zu – zusammen mit der Widerrufsbelehrung. Dazu war er gemäß Paragraf 5a des alten Versicherungsvertragsgesetzes verpflichtet. Allerdings kam es vor, dass Versicherer neuen Kunden keine oder eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung zuschickten. Nach der geltenden europäischen Rechtsprechung und zahlreichen Urteilen des Bundesgerichtshofs ist für solche Fälle ein ewiges Widerspruchsrecht vorgesehen. Haben oder hatten Kunden Lebensversicherungen, die nach dem Policenmodell abgeschlossen worden sind, könnten Berater prüfen lassen, ob die Voraussetzungen für eine Rückabwicklung gegeben sind.

Welche Voraussetzungen müssen für eine Rückabwicklung denn erfüllt sein?

Kappestein: Der Kunde muss nachweisen können, dass er über sein Widerspruchrecht gar nicht, falsch, unvollständig oder zu spät aufgeklärt worden ist. Es ist aber schwierig zu prüfen, ob eine Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist. Das kann beispielsweise schon dann der Fall sein, wenn der Text optisch nicht deutlich hervorgehoben ist. Es gibt eine große Anzahl von Urteilen, die Widerrufsbelehrungen aus den unterschiedlichsten Gründen für fehlerhaft erklärt haben.

Ein Makler oder Berater kann selbst also nicht abschließend beurteilen, ob eine Widerrufsbelehrung tatsächlich Fehler aufweist?

Kappestein: Genau, das können in der Regel nur mit dem Sachverhalt vertraute und erfahrene Rechtsanwälte.

Ihr Unternehmen hat sich auf die Rückabwicklung spezialisiert. Wie läuft ein solcher Prozess bei Ihnen ab?

Kappestein: Wir sind im Jahr 2016 zunächst als Onlineportal für Versicherte selbst an den Start gegangen. Seit knapp zwei Jahren bieten wir mit "Helpcheck institutional" auch ein Tool für Kooperationspartner an, also für Vermittler und Berater. In unser Online-Erfassungssystem können sie die Daten einer Police eingeben, diese werden dann automatisch an einen unserer Partneranwälte übermittelt. Die Juristen haben ein weiteres Tool. Damit prüfen sie in wenigen Minuten, ob eine Widerrufsbelehrung einen von circa 30 Fehlern enthält, aufgrund derer Gerichte zugunsten von Versicherten entschieden haben. Liegt ein Fehler vor, ermittelt ein weiteres System den Anspruch des Kunden.

Wie berechnet sich der Anspruch?

Kappestein: Ist belegt, dass ein Policen-Inhaber nicht oder nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht aufgeklärt worden ist, muss ihm der Versicherer grundsätzlich alle gezahlten Beiträge abzüglich der Risikokostenanteile erstatten. Hierin enthalten sind dann auch alle Abschluss- und Verwaltungskosten. Und nicht zuletzt stehen ihm die sogenannten „tatsächlich gezogenen Nutzungen“ zu, also sämtliche Zinsen, die der Versicherer mit dem Sparanteil der eingezahlten Prämien erwirtschaftet hat. Die auszuzahlenden Nutzungszinsen müssen basierend auf den monatlichen Nettorenditen des Versicherers errechnet werden. Dabei hat der Versicherungsnehmer nachzuweisen, welche Nettorenditen das Unternehmen tatsächlich erzielt hat.

Für eine derart komplexe Berechnung braucht man Aktuare. Arbeiten Sie mit entsprechenden Fachleuten zusammen?

Kappestein: Nein, wir haben ein Portal, in das wir unter anderem die monatlichen Nettorenditen aller deutschen Lebensversicherer und einiger ausländischer Gesellschaften über Jahrzehnte zurück eingespeist haben. So errechnet das System in wenigen Minuten den Mehrwert-Anspruch des Kunden, also die Summe, die über den reinen Rückkaufswert oder den Auszahlungsbetrag bei Kündigung hinausgeht. 

Wie geht es dann weiter?

Kappestein: Entscheidet sich ein Kunde für die Rückabwicklung seiner Police, übernehmen unsere Kooperationsanwälte alle rechtlichen Schritte bis hin zur Klage. Im Erfolgsfall zahlen Versicherte an Helpcheck 25 Prozent des Mehrwerts plus Mehrwertsteuer. Kooperationspartner wiederum erhalten von diesem Betrag zwischen 20 und 40 Prozent. 

Das klingt nach leicht verdientem Geld. Allerdings ist es für Makler unangenehm, ihren Kunden zu sagen, dass sie ihnen in Vergangenheit eine fehlerhafte Police vermittelt haben.

Kappestein: Nicht unbedingt. Es geht vielmehr um die Beratungs- und Informationskompetenz, die ein Makler oder Berater für seinen Kunden vorhalten sollte. Zudem verantworten die Fehler in der Widerrufsbelehrung, sofern vorhanden, die Versicherer, nicht die Vermittler. Es kann sich auf jeden Fall lohnen, Kunden auf das Thema Rückabwicklung anzusprechen. Im Erfolgsfall holt man für sie echte Mehrwerte zurück, Geld, dass dann vielleicht auch wieder neu angelegt werden könnte.

Vielen Dank für das Gespräch. (am)


Einen Bericht über die Rückabwicklung von Lebensversicherungen finden Sie in der aktuellen Heftausgabe 4/2018 von FONDS professionell, die Ende November erschienen ist. Angemeldete KLUB-Mitglieder können den Artikel auch ab Seite 234 im E-Magazin lesen.