Aktuell ist die betriebliche Altersversorgung (bAV) unter Arbeitnehmern zu 53 Prozent verbreitet, langfristig sollen es 80 Prozent sein. Um die größten Verbreitungshürden aus dem Weg zu räumen, haben die federführenden Ministerien für Arbeit und Soziales (BMAS) sowie für Finanzen (BMF) einen "Fachdialog zur Stärkung der Betriebsrente" gestartet. Ein maßgebliches Mittel ist das Sozialpartnermodell (SPM), das reine Beitragszusagen (rBZ) auf Basis von Tarifverträgen erlaubt. Die ersten Modelle werden seit Kurzem in der Energiewirtschaft und der Chemiebranche umgesetzt.

Die Politik fördert solche Projekte mit dem Betriebsrenten-Stärkungsgesetz von 2018. Die neue "Tarifrente", so der Arbeitstitel des BMAS für das SPM statt des antiquierten Begriffs "Nahles-Rente", sei Herausforderung und Chance zugleich, urteilte BMAS-Staatsekretär Rolf Schmachtenberg Anfang Februar auf einer Fachtagung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.

Steht die bAV kurz vor einem gewaltigen Durchbruch?
Was die Perspektiven der bAV 2023 betrifft, könnte der Fachdialog einen seit Jahren nicht gekannten Durchbruch bringen. Es haben sich zahlreiche rechtliche Baustellen angesammelt, die neu geregelt gehören, sagt Mathias Ulbrich, Professor für Arbeitsrecht an der Fakultät für Wirtschaftsrecht der Hochschule Schmalkalden.

Als Veranstalter der inzwischen siebten Auflage der Fachtagung "Berliner bAV-Auftakt" listete Ulbrich vergangene Woche über 75 Fragen auf, die im Fachdialog geklärt werden sollen, und holte Meinungen von Verbänden und Sozialpartnern dazu ein. Zumeist ist man sich über die Abschaffung der vollständigen Beitragsgarantie in der Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) einig.

Fachdialog mit unzähligen rechtlichen Baustellen befasst
Die bereits neunte Sitzung zum Fachdialog am 1. März, zu der nur die Sozialpartner geladen waren, brachte dem Vernehmen nach viel Einigkeit, es bleibt aber im Detail noch erheblicher Regelungsbedarf, war unter Teilnehmern der Tagung zu hören. "Wir leuchten da nur die rechtlichen Ecken aus", umriss Peter Görgen, Referatsleiter "Zusätzliche Altersvorsorge" im BMAS, die zahlreichen Problemstellungen. Statt der bisherigen vier Zusageformen Leistungszusage, BZML, beitragsorientierte Leistungszusage (BoLZ) und reiner Beitragszusage (rBZ) seien womöglich künftig nur noch zwei Zusageformen nötig: die rBZ und die Leistungszusage (mit 80 Prozent Garantie).

Doch Arbeitsrechtler warnen zugleich vor rückwirkenden Maßnahmen, da solche Neuerungen rechtlich nur für Neuzusagen haltbar seien, so Görgen weiter. Einen Eingriff in bestehende Zusagen wegen nötiger Generationengerechtigkeit hält er aber für unwahrscheinlich, da enge verfassungsrechtliche Vorgaben bestünden und das Bundesarbeitsgericht bereits zum Bestandsschutz geurteilt hat.

Kommt die Öffnung des SPM für alle Arbeitgeber?
Der Fachdialog wird voraussichtlich im Frühjahr mit einer gemeinsamen großen Runde in Berlin abgeschlossen, wo BMAS und BMF ihre Ergebnisse zusammenfassen und das weitere Vorgehen skizzieren. Einige Punkte zum SPM zeichnen sich schon ab, Stichwort "Öffnung der rBZ für möglichst alle Arbeitgeber": Das BMAS will Hemmnisse für ein Andocken an bestehende Tarifverträge abbauen helfen, so Görgen.

Positiver Anforderungskatalog diskutiert
Auch die umstrittene erleichterte Nutzung des SPM durch Nichttarifgebundene sei regelbar, etwa über einen positiven Anforderungskatalog. Görgen nannte auf der Ulbrich-Tagung dazu ein Beispiel: So sei ein Andocken nur für Sozialpartner denkbar, die mindestens sieben Prozent der Beschäftigten einer Branche vertreten. Dagegen soll ein Andocken an bestehende SPM nicht möglich sein, wenn in der jeweiligen Branche schon ein SPM und damit ein einschlägiger Tarifvertrag existiert.

BDA-Hauptgeschäftsführer Alexander Gunkel plädiert dafür, das SPM jetzt weiter zu vereinfachen und für alle Firmen auch ohne einschlägigen Tarifvertrag zu öffnen, sofern die Sozialpartner "vor Ort" zustimmen. "Billigmodelle soll es nicht geben, da die Arbeitgeber zu dem jetzigen Qualitätsanspruch stehen", so Gunkel auf der Tagung weiter. Die Angst der Gewerkschaften vor einer Tariföffnung könne er nicht nachvollziehen, da nur "sozialmächtige" Gewerkschaften wirksame Tarifverträge abschließen könnten und somit die Einschlägigkeit nicht auszuhebeln sei.

Gewerkschaften wollen weiter Tarifexklusivität
Judith Kerschbaumer, Leiterin des Bereichs Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bei Verdi, besteht darauf, SPM weiter nur durch Tarifvertrag zu vereinbaren ("Tarifrente"). Man kämpfe für den Erhalt der Tarifexklusivität. Ginge dieser Kampf verloren, sei ein Rückzug der Gewerkschaften aus SPM wahrscheinlich. Man sei aber vom erfolgreichen Vorgehen beim Energie-SPM überzeugt, das Nachahmer verdient habe. Wichtige Leitplanke sei, dass der Verzicht der Arbeitnehmer auf Garantien mit einem nennenswerten Beitrag des Arbeitgebers abgegolten werde und eine reine Entgeltumwandlung daher keine Option für SPM sei. Als Beispiel nannte Kerschbaumer einen Arbeitnehmer mit 50.000 Euro Jahresbrutto: Sein Arbeitgeber zahlt rund 1.500 Euro pro Jahr, der Arbeitnehmer 333 Euro – siehe Grafik. Der Arbeitnehmer erhält auch drei Prozentpunkte der Kosten gutgeschrieben, die durch kollektive SPM-Organisation eingespart werden.

Quelle: Verdi

Kerschbaumer sieht vier Chancen, zu mehr SPM-Abschlüssen zu kommen: individuelle Verhandlungen (kostet zu viel Zeit), Andocken an bestehende Tarifverträge durch tarifgebundene Sozialpartner (ist besser), Andocken/Übernahme TV durch tariflich ungebundene Sozialpartner (können Anwendung einschlägiger tariflicher Regelung nach Paragraf 24 BetrAVG vereinbaren) oder Differenzierungsklauseln nach Mitgliedschaft in Gewerkschaft oder Arbeitgeberverband.

Differenzierungsklauseln gehören klargestellt
Aktuell gebe es bei den Differenzierungsklauseln noch einen Widerspruch zwischen Tarifrecht (Tarifvertragsparteien sollen Nichttarifgebundenen Zugang zur rBZ nicht verwehren und dürfen Versorgungseinrichtung keine sachlich unbegründeten Vorgaben machen – nach Paragraf 21 Abs. 3 BetrAVG) und Aufsichtsrecht (bei gleichen Voraussetzungen dürfen Prämien und Leistungen nur nach gleichen Grundsätzen bemessen werden – nach Paragraf 138 Abs. 2 VAG). Verdi fordert eine Klarstellung: Paragraf 21 solle als Lex specialis gegenüber Paragraf 138 vorgehen.

Folge: Da die Kosten für Einführung, Implementierung sowie Durchführung und Steuerung von den Sozialpartnern getragen werden, sei es sachlich begründet, Gewerkschaftsmitgliedern günstigere Tarife beziehungsweise vorteilhaftere Leistungen anzubieten respektive von Nichttarifgebundenen eine Kostenbeteiligung zu verlangen ("Eintrittsgeld"). Auch hier soll der Fachdialog eine Klärung bringen. (dpo)